Houellebecq, Unterwerfung

Eine Woche nachdem er in Frankreich für Aufregung sorgte kann man ihn jetzt auch auf Deutsch lesen, Houellebecqs Phantasie über die Islamisierung Frankreichs und Verdrängung dieser „Ureinwohner Europas“, die sich bei uns Patrioten Europas nennen. Welches Buch könnte besser in unsere Zeit passen? Das Buch liegt im Trend und es gibt bereits viele Rezensionen darüber: Geschildert wird darin die Unterwerfung der europäischen Gesellschaft und Kultur unter den Islam geschildert, also das, wovor uns die Wutbürger der Pegida bewahren möchten. Einiges an dem Buch nimmt neue Trends auf, wenn sich die reichen Araber der Golfstaaten die europäischen Elite-Universitäten einkaufen und die dortigen willfährigen Wissenschaftler ihre Lehre der neuen Ideologie unterordnen. Das kennen wir bei uns schon aus dem Dritten Reich und aus der DDR, warum sollte es in Zukunft anders laufen. So fehlt nicht viel, dass die bürgerliche Mitte ihre eigenen Werte über den Haufen wirft und dem scheinbar gemäßigten Islam die Herrschaft überlässt.

Goncourt-Preisträger Michel Houellebecq erzählt dies in seinem Buch mit der Geschichte des Literaturwissenschaftlers François, der im Frankreich einer sehr nahen Zukunft über den dekadenten Schriftsteller Huysmans forscht, der ihn sein Leben lang fasziniert. Zugleich verfolgt er die Ereignisse um die anstehende Präsidentschaftswahl: Während es dem charismatischen Kandidaten der Bruderschaft der Muslime gelingt, immer mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, kommt es in der Hauptstadt zu tumultartigen Ausschreitungen. Wahllokale werden überfallen, Autos brennen auf den Straßen. Als schließlich ein Bürgerkrieg unabwendbar scheint, verlässt François Paris ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen. Es ist der Beginn einer Reise in sein Inneres. Unterwerfung handelt vom Zusammenprall der Kulturen und stellt Fragen zum Verhältnis von Orient und Okzident, von Judentum, Islam und Christentum Fragen, die heute so relevant sind wie nie.

Michel Houellebecq präsentiert sich als furchtloser Gesellschaftsdenker, der die bestimmenden Spannungsverhältnisse unserer Epoche mit großer Ernsthaftigkeit und zugleich mit virtuoser Ironie ausdeutet. Vor Jahren nannte Houellebecq den Islam die „dümmste“ aller Religionen, doch in seinem neuen Buch scheint er ihn als intelligente Lösung für ein Europa im Niedergang anzusehen. Voller Spott und Satire entlarvt er den Westen, wo sich Regierung und Opposition die Pfründe aufteilen, wie zwei rivalisierenden Banden. In dem Buch sind die Linken und Liberalen genauso von Blindheit befallen, wie einst die Bewohner Trojas. Wo Houellebecq Recht hat, hat er Recht und lässt eine seiner Figuren im Buch von dem „bodenlosen Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen, also Politikern und Journalisten“ sprechen.

(c) Magazin Frankfurt, 2024