Gastmann, Der vorletzte Samurai

„Wenn ich nachts an einem Fenster lehnte, im Schimmer des Abenteuers, und von hoch oben hinuntersah in die tiefhängenden Wolken, kam es mir manchmal vor, als würde sich ein Gewitter aus Farben über der Stadt entladen. Es blitzte in den Fenstern tausender Türme, bis es flimmernd zerfiel und zuckend verglimmte. Dieser Taumel, diese Trance und dann wieder diese absolute Ruhe. Kann ein Gaijin ein Land verstehen, dass er gar nicht verstehen kann? Wie sollte er, dachte ich. Aber er kann es lieben.” schreibt Dennis Gastmann in seinem aktuellen Buch. Der Enddreißiger kennt sich aus in der Welt. Als Reporter für die Auslandsmagazine der ARD ist er schon über alle Kontinente gereist und beschrieb seine Abenteuer liebevoll-ironisch 2011 in dem hochgelobten Band „Mit 80.000 Fragen um die Welt“. Auch die Wanderung ein Jahr später, nachdem er in seinem kleinen Apartment im Herzen Hamburgs seinen Rucksack gepackt und mit dem Ziel seine eigenen Sünden zu büßen und Mutter Erde ein wenig besser zu machen auf den Pfaden Heinrich IV. den legendären Fußweg über die Alpen nach Canossa antrat, war für ihn und viele Leser eine Grenzerfahrung mit den unterschiedlichsten Eindrücken. Mit „Geschlossene Gesellschaft“ nahm er seine Leser mit auf eine Exkursion in die Welt der Reichen und im „Atlas der unentdeckten Länder“ auf Entdeckungsreise an die letzten unbekannten Orten unserer Erde, wie das moldawische Transnistrien oder die Pitcairn-Insel. In seinem aktuellen Band macht sich Dennis Gastmann auf, Japan zu erkunden, ein Land, das noch immer unvergleichlich fremd und geheimnisvoll wirkt. Viele Rätsel, viele Regeln und unzählige Rituale begegneten ihm dabei - und Gastmann erwies sich als brillanter Beobachter, stellte Fragen und ordnete alles in seinem inzwischen immensen Erfahrungsschatz. Bei seiner Reise durchs Land der aufgehenden Sonne, war Dennis Gastmann nicht allein, denn zu Japan hat er familiär einen engen Bezug durch seine Frau Natsumi.

Der Spross einer alten Samurai-Familie bereiste mit ihm den gesamten Inselstaat, von den grünen Gipfeln auf Hokkaidō bis zu den Vulkanen auf Kyūshū, sie pilgerten in die Tempelstadt Nikkō und verlieren sich im Lichterrausch der Metropolen. Manches entspricht dabei den westlichen Vorstellungen von Japan, zum Beispiel das grelle Neongewitter eines Tokioter Roboterrestaurants. Aber es gibt auch Regionen der Heimat Natsumis, die noch immer weitgehend abgeschlossen gegenüber dem Rest der Welt sind. Gastmann schildert etwa den Besuch in einer Bar in Kagoshima, im äußersten Süden Japans, wo man ihn selbst als Fremden bestaunt: „Wir sitzen hier seit dreißig Jahren“, erzählen ihm dort die Trinkenden, „und noch nie hat sich ein Gaijin hereingetraut.“ Gaijin, das bedeutet "Mensch von außerhalb" und ist in Japan ähnlich negativ konnotiert wie in Sachsen-Anhalt und wird von den meisten Japanern aus Gründen der Political Correctness inzwischen als Bezeichnung für westliche Ausländer vermieden. Auf seiner Weiterreise zu den „sieben Höllen“ von Beppu, das für seine über 3.700 heißen Quellen bekannt ist, sucht er nach Ruhe und Entspannung und begegnet dort plötzlich einem ergrauten Herrn, der rauchend vor ihm sitzt. Ist er der Geist eines Samurai? Mit seiner Reiseerzählung gelingt Gastmann ein faszinierendes Porträt des Landes zwischen Anarchie und Ordnung, Besessenheit und Zen. Es ist - im typisch subjektiven Gonzo-Style - eine sehr persönliche Betrachtung Japans und Gastmann fragt sich "Kann ein „Gaijin“, ein Fremder, eine Kultur verstehen, die ein Fremder gar nicht verstehen kann?" Zumindest stößt der dem Leser so manche Tür auf und hilft ihn dabei ein Land zu verstehen, das vielen davon nach wie vor unbekannt und fremd ist.

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(c) Magazin Frankfurt, 2020