Zelter, Die Verabschiebung

Ein wenig muss man bei dem Titel des Buches an die neuen Gesetze unserer Regierung denken, die mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz Seehofers auf zynische Weise reale Absichten verschleiert. Wer weiß, was man sich bei diesen Sprachakrobaten vor 80 Jahren als Sprachregelung für die „Endlösung der Judenfrage“ überlegt hätte. Machen wir uns nichts vor, diese Denke greift bei uns wieder stärker um sich, als noch vor einigen Jahrzehnten. In Zeiten, wo man jemanden zum Chef des Verfassungsschutz bestellt hat, der aus seiner Verachtung für die arabische Welt und seine Nähe zu rechten Ideologien keinen Hehl macht, scheinen die alten rassistisch geprägten Nationalisten Aufwind zu bekommen. Mag es an Helmut Kohls Russlanddeutschen liegen, bei denen rechtes Gedankengut weiter verbreitet ist, als die Bereitschaft zur Integration in eine pluralistische Gesellschaft, mag es an dem durch Angela Merkels „Wir schaffen das“ verschärften Zuzug von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten, bei denen Antisemitismus oft schon religiöse Ursprünge hat. So entsteht eine gefährliche Gemengelage. Da greift rechte Denke wieder stärker um sich, als noch vor einigen Jahr-zehnten. Wenn die Führung des Landes jemanden zum Chef des Verfassungsschutz bestellt, der aus seiner Verachtung für die arabische Welt und seine Nähe zu rechten Ideologien keinen Hehl macht, bekommen alte rassistisch geprägte Nationalisten Aufwind und Schutz vor Verfolgung. Das macht es schon für sonst gut integrierte Paare aus unterschiedlichen Kulturkreisen nicht unbedingt einfach friktionsfrei in diesem Land zu leben, noch stärker zeichnet es sich allerdings bei Paaren ab, von denen ein Partner als illegal gilt und dem man keine Zukunftsperspektive in Deutschland gewähren möchte.

Der Freiburger Schriftsteller Joachim Zelter kennt dies aus seiner eigenen Familie. Als man im Januar 2020 seinen Schwager nach Pakistan abschiebt, reagiert er darauf mit einem neuen Roman, in dem er mit spitzer Feder in einer fiktiven, aber in der Sache realen Geschichte die Abgründe auftut, durch die sich nicht nur die Abzuschiebenden in einem langen und unwürdiges Verfahren hindurchkämpfen müssen.

Sie werden dabei von den Behörden zermürbt und müssen sich oft fragen, ob diese kafkaesk agierenden heutigen Beamten vor 80 Jahren mit ihrer schrägen Behördenlogik ebenso empathiefrei und bedenkenlos Menschen in den sicheren Tod geschickt hätten. Sie tun das auch heute, denn für manchen der Betroffenen ist die Abschiebung in die alte Heimat bereits der erste Nagel zum Sarg.

In der Geschichte Zelters könnte eigentlich alles gut sein zwischen Julia und Faizan. Die beiden sind seit einigen Wochen ein Liebespaar – doch die Behörden möchten Faizan in diesem Land nicht haben. Als Asylbewerber aus Pakistan sind seine Chancen auf ein Hierbleiben gleich null. Um ihn vor der Abschiebung zu bewahren, entschließt sich Julia – schneller als man es normalerweise machen würde und sehr viel schneller als die selbstständige Ehegegnerin Julia erst recht - ihren Freund zu heiraten. Doch wenn sie geglaubt hat, dass mit einer Ehe alles gut werde, dann hat sie sich in ihrem deutschen Heimatstaat gründlich geirrt.

Der Roman erzählt die Endlosigkeit und Aussichtslosigkeit eines Asylverfahrens in Deutschland, wo auch Liebe und eine Ehe für Bürokraten keinen hinreichenden Grund darstellen, um Hier- oder Zusammensein zu dürfen. Der Roman beschreibt einen kafkaesk-kalten Kosmos akribischen Rechts, in dem die beteiligten Menschen – in einem endlosen Kraftakt – immer mehr an Autonomie und Substanz verlieren, bis kaum mehr etwas von ihnen übrig ist.

Joachim Zelter, Die Verabschiebung, Kröner Edition Klöpfer, Hardcover, 168 Seiten, ISBN 978-3-520-75201-7, 18 Euro

Rechtlicher Hinweis Buch

Das Buch wurde uns vom Verlag kostenfrei als PDF, eBook oder Printausgabe zur redaktionellen Besprechung zur Verfügung gestellt. Durch Verlinkung zu Amazon.de oder anderen Online-Händlern erhalten wir beim Kauf eine Provision, die unsere für den Leser kostenfreie redaktionelle Arbeit ermöglicht. Ein bezahlter Werbeauftrag des Verlags liegt nicht vor.

(c) Magazin Frankfurt, 2024