von Dohnanyi, Nationale Interessen

von Dohnanyi, Nationale Interessen

(c) Siedler

+üDer 93-jährige Klaus von Dohnanyi ist seit fast 65 Jahren Mitglied der SPD. Der promovierte Jurist hatte im Laufe seiner politischen Karriere zahlreiche Ämter inne, war Bundeswissenschaftsminister, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Bis heute hat er zahlreiche ehrenamtliche Aufgaben inne und greift mit seinen klugen differenzierten Ansichten und Meinungen immer wieder in die intellektuellen Debatten Deutschlands ein.

Angesichts der Situation, die sich derzeit im Osten Europas entwickelt und für die momentan Politiker der wichtigsten europäischen Länder zusammen mit dem Kontrahenten Russland und Ukraine eine Lösung suchen, die allen Beteiligten die Gesichtswahrung, die Berücksichtigung ihrer Interessen und die Vermeidung eines neuen europäischen Krieg bringt. Einfach ist die Lage nicht. Die neue deutsche Regierung muss noch ihren Weg finden und sich nicht durch das ukrainische Säbelrasseln und die russische Machtdemonstration an der Grenze zur Ukraine und bei der Lieferung des zumindest für Deutschland mit seiner umweltpolitisch motivierten Klimapolitik lebenswichtigen Gases, in seinen Entscheidungen strangulieren lassen. Es ist eine Zeitenwende in der Weltpolitik und für Deutschland steht eine Menge auf dem Spiel.

Von einem Machtblock Europa zu sprechen, ist derzeit und sicherlich auch in näherer Zukunft nicht sinnvoll. Zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen Länder, zu gering ist die Bereitschaft zum Wohle des Ganzen auf nationale Interessen zu verzichten. Wir merken das häufig in der EU, wo Deutschland zunehmend Schwierigkeiten hat, die eigenen Interessen ausreichend zu vertreten. Schon der derzeitige Streit um die von der EU aus dem Hut gezauberten Taxonomie von Atomkraft und Gas zeigt, wie brüchig auch nach dem Brexit der Briten die Union geworden ist, die vermutlich in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs zerbrechen wird. Auch auf die lange gehegte Freundschaft mit den USA sollten wir uns nicht verlassen. Zwar ist der neue Präsident Biden weniger aggressiv, als sein Amtsvorgänger Trump, aber in Sachen Freundschaft, erinnert das Verhältnis USA - Deutschland an Johannes 15, Vers 14: "Ihr seid meine Freunde, so ihr tut, was ich Euch gebiete".

Im Zweifel würden die USA Europa vermutlich ebenso wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, wie vor einem halben Jahr Afghanistan. In den letzten Jahrzehnten hat man das größte Land der Welt und Zentrum der ehemaligen UdSSR zunehmend durch die Nato-Osterweiterung in die Enge und zu einer Annäherung an den mächtigen Nachbarn China getrieben. Zwar verbindet uns mit den USA nach wie vor mehr als mit China, aber vermutlich wäre es auch in unserem nationalen Interesse und im Interesse Europas, wenn wir eine engere und stabile Partnerschaft mit Russland pflegen. Europaweit wird dies nicht einfach sein, denn viele der ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts sind noch immer traumatisiert von ihren Erfahrungen mit der Sowjetunion - nicht nur unter Führern wie Stalin.

Auch von Dohnanyi sieht es so, dass sich Deutschland und Europa in einer Welt des rapiden machtpolitischen und technologischen Wandels strategisch neu orientieren muss, um im Wettkampf zwischen den USA und China nicht noch stärker zwischen die Fronten zu geraten. Auch von Dohnanyi sieht, dass wir auch unser Verhältnis zu Russland verändern müssen und dabei ein nüchterner, illusionsloser Blick auf die neuen Realitäten notwendig ist. Auf »Wertegemeinschaften« oder »Freundschaften« können wir nicht vertrauen, Deutschland und Europa müssen offen eigene, wohl verstandene Interessen formulieren und diese mit Realismus verfolgen und möglichst partnerschaftlich umsetzen. So fordert von Dohnanyi in seinem Buch grundsätzliche Kurskorrekturen – im Bereich der äußeren Sicherheit ebenso wie in der Industriepolitik, weg von einseitigen Abhängigkeiten, hin zu einer Politik der Eigenverantwortung. Ein ebenso provokantes wie anregendes Buch - von einer der herausragenden politischen Persönlichkeiten unserer Gegenwart.

Klaus von Dohnanyi, Nationale Interessen - Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche, Siedler, Hardcover, 240 Seiten, ISBN 978-3827501547, 22 Euro

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(c) Magazin Frankfurt, 2024