Aytac, Ausgeblutet

Aytac, Ausgeblutet

(c) Lübbe

Die Corona-Pandemie hat die Bevölkerung gezeigt, wie marode das deutsche Gesundheitswesen ist. Über Jahrzehnte von den Regierungen aus CDU, SPD, FDP und Grünen nur als Kostenfaktor gesehen, zu großen Teilen privatisiert und kaputtsaniert. Dr. Sâra Aytaç ist Oberärztin in der Unfallchirurgie, hat das Ganze über Jahre verfolgt und liefert jetzt einen schonungslosen Bericht aus ihrem Klinikalltag: Sie berichtet von den vergessenen Alten, deren adäquate Behandlung keinen Profit verspricht. Sie erzählt von lebensgefährlichen Kommunikationsproblemen im Schmelztiegel Krankenhaus, ebenso fatalen Personalengpässen, unqualifizierten Aushilfskräften und dem Ausverkauf des ärztlichen Ethos. Ihre schockierenden Geschichten aus Notfallaufnahme, Schockraum und OP zeigen: Wir brauchen endlich wieder ein menschliches, das heißt allein am Patientenwohl orientiertes Gesundheitssystem.

Vielleicht empfindet der ein oder andere Leser die Betrachtung der Ärztin als zu zynisch. Manchmal muss es aber vermutlich eine Portion Sarkasmus sein, mit der man die Lage analysiert, um sich selbst etwas Luft zu machen. Wie ein Dampfkochtopf, der ja auch Luft ablassen muss, um nicht zu explodieren, angesichts des Drucks, der sich im Inneren mehr und mehr aufbaut. Die 38-jährige Aytaç ist derzeit Oberärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie in einem großen kommunalen Krankenhaus in Idar-Oberstein. Geboren wurde sie als Tochter türkischer Eltern in Wolfenbüttel und verbrachte dann ihre Jugend in Berlin und Istanbul. Nach dem Medizinstudium in Heidelberg absolvierte sie ihre Ausbildung zur Fachärztin an einem Haus der Maximalversorgung, an dem sie zuletzt stellvertretende Leiterin der Sektion für Akuttraumatologie war. Um einen ganzheitlichen Blick zu bekommen tourte sie danach mehrere Monate als Honorarärztin durch verschiedene städtische, private und kirchliche Krankenhäuser und stellte fest: Das Leiden der Betroffenen und der ökonomische Irrsinn sind überall gleich.

„Wir stellen ärztliches Personal ein, das nicht ansatzweise qualifiziert ist“, sagte sie dieser Tage in einem Interview mit den Kollegen von der Welt. Wenn die Bundesregierung vollmundig auf ihrer Webseite das deutsche Gesundheitssystem als „eines der besten der Welt“ beschreibt, kann Aytac nur lachen, denn in ihren Augen ist es „durch und durch kaputt“. Zwar kennt sie auch gute und qualifizierte Kollegen, die in den Krankenhäusern ihren Dienst tun, aber ein großer Teil der in Deutschland im operativen Geschäft tätigen ausländischen Ärzte mangelt es an der ausreichenden Qualifikation. Schon ein Blick auf das Team in ihrer Klinik zeigt, dass dort zwar noch der Chefarzt und die meisten Oberarztstellen mit deutschen Mitarbeitern besetzt ist, beim Team der Assistenzärzte aber kaum ein deutscher Name auftaucht. Das beginnt schon an den teuren aber ineffizienten, weil meist nicht von Fachleuten durchgeführten Sprachkursen für Mediziner, über deren Befähigung für diesen Beruf angesichts der kritischen Personallage seitens der Klinikverwaltungen großzügig hinweggesehen wird. Beim Arztgespräch vor Operationen haben vermutlich die meisten Patienten ohne private Krankenversicherung schon öfters gemerkt, dass es bestenfalls eher ein stammelndes Herantasten als eine fachliche Unterhaltung ist. Probleme können so sicherlich nicht geklärt werden – besonders im ländlichen Raum, wo die Versorgung deutlich schlechter ist, als in den attraktiven größeren Städten, wo sich die Kliniken ihr Personal eher aussuchen können und nicht auf „Ärzte“ angewiesen sind, deren Qualifikation fraglich ist.

Sâra Aytaç, Ausgeblutet: Als Ärztin im Schockraum unseres maroden Gesundheitssystems, Lübbe, Broschur, 240 Seiten, ISBN 978-3431050271, 16,99 Euro

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