McEwan, Lektionen

McEwan, Lektionen

(c) Diogenes

Ian McEwan gehört zu den bedeutendsten Autoren seiner Generation. Der 75-jährige Engländer wuchs als Sohn eines schottischen Offiziers auf dem Militärstützpunkt Aldershot und unter anderem in Singapur und Libyen auf, bevor er in Brighton englische und französische Philologie studierte und dort und später in Norwich seine Abschlüsse machte. In Norwich besuchte er einen Kurs in Kreativem Schreiben bei den Romanautoren Malcolm Bradbury und Angus Wilson und unterrichtete dann an der University of Sussex. Offensichtlich hat der Kurs bei den Romanautoren etwas ins Rollen gebracht, denn schon als Twen konnte er mit seiner Kurzgeschichtensammlung Erste Liebe, letzte Riten erste Erfolge erzielen, die es ihm ermöglichten, sich ganz der Tätigkeit als Schriftsteller zu widmen, die ihm im Laufe der Jahrzehnte für seine Bücher nahezu alle bedeutenden Preisen für englischsprachige Literatur einbrachte. Jede zweite seiner Erzählungen wurden bisher verfilmt. Wir erinnern uns noch an den großartigen Film Abbitte des britischen Regisseurs Joe Wright mit Keira Knightley, James McAvoy, Saoirse Ronan und Vanessa Redgrave, der für sieben Golden Globes nominiert war und zwei davon - unter anderem als Bester Film Drama, gewann.

Seine neuer Roman Lektionen dürfte mit mehr als 700 Seiten sein umfangsreichstes Werk sein und beginnt im Jahr 1959, als der 11-jährige Roland Baines von seinen Eltern, die in Libyen stationiert sind, in ein Internat nach Südengland geschickt wird. Hier merkt man die ersten autobiografischen Bezüge McEwans, die auch Jahrzehnte später wieder auftauchen und nach McEwans eigenen Schätzungen rund ein Viertel des Buchs ausmachen.

Der Titel des Buchs bezieht sich auf Klavier-Lektionen im Internat bei der jungen Klavierlehrerin Miriam Cornell, die sein Leben eine andere Wendung verleihen wird - um nicht zu sagen, ihn aus der Bahn wirft. Kurz später springt die Handlung ins Jahr 1986, in dem wir Roland als jungen Vater wiedertreffen, der gerade von seiner deutschen Frau Alissa ohne jeglichen Hinweis verlassen wurde - er muss sich jetzt um das vier Monate alte Baby kümmern und die Polizei verdächtigt ihn, dass es sich beim Verschwinden der Frau um ein Kapitalverbrechen handeln könnte.

Immer wieder springt das Buch in seinem Leben vor und zurück und hinein in seine Beziehungen, die er mehr schlecht als recht als Barpianist, Tennislehrer und Dichter zu bewältigen versucht. Seine Frau taucht wieder auf, Deutschland ist immer wieder Ort der Handlung, die uns in ihrem Verlauf bis in die Jetztzeit führt.

Ein dickes Buch, das einem oft zu denken gibt und vor allem bei seinen Zeitgenossen immer wieder einmal Erinnerungen aufleben lässt, sei es an Tschernobyl, den Fall der Berliner Mauer und den Brexit. Es wird sicherlich verfilmt werden, aber gönnen Sie sich ruhig zuvor die Lektüre.

Ian McEwan, Lektionen, Diogenes, Hardcover, 708 Seiten, ISBN ‎978-3257072136, 32 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024