Undset, Kristin Lavranstochter

Wie wichtig eine gute Übersetzung ist, merken einige Verlage erst recht spät. Ich erinnere mich noch, als vor fast 30 Jahren der erste Krimi der Wallander-Serie von Henning Mankell erschien, den die Buchhändlerin Jutta Wilkesmann in ihrer Frankfurter Krimi-Buchhandlung "Die Wendeltreppe" enthusiastisch vorstellte. Sie hätte zwar schon einige Zeit davor begeisterte Stimmen von Kollegen aus Schweden gehört, aber hatte sich mit Mankell wegen der Übersetzung schwergetan und die erste Lektüre frustriert abgebrochen. Als sie dann erstmals den diesem monatlichen Vorstellungsabend präsentierten Krimi in neuer Übersetzung las, hätte sich ihr eine ganz andere Welt aufgetan. Möglicherweise könnte das dem Leser auch mit dem Werk der Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset so gehen, deren vor rund 100 Jahren erschienenes Hauptwerk, die Mittelalter- Trilogie Kristin Lavranstochter jetzt erstmals in einer neuen direkten Übersetzung aus dem Norwegischen erscheint.

Die vor 140 Jahren als Tochter eines norwegischen Archäologen und einer dänischen Juristentochter geborene und 1949 verstorbene Sigrid Undset gilt als eine der größten und einflussreichsten Schriftstellerinnen ihres Landes. Ihre zeitgenössischen Romane wurden wegen ihrer allzu selbständigen jungen Heldinnen zum Skandal. Als engagierte Antifaschistin stand sie zu Zeiten der deutschen Nationalsozialisten, die damals von den Alliierten ungehindert in Norwegen herrschten, ganz oben auf der Roten Liste. Nach der Besetzung ihres Landes konnte sie sich nur durch eine lebensgefährliche Flucht auf Skiern durch das Gebirge retten.

Schon ihr literarisches Debüt war dem Mittelalter gewidmet, doch die Verlagen lehnten ihn mit Hinweis ab, sie möge etwas Moderneres schreiben. Undset folgte diesem Rat und reüssierte schließlich mit Romanen, die die romantischen Vorstellungen ihrer Frauenfiguren mit deren glanzloser Wirklichkeit kontrastierten. Erst in den 1920er Jahren erreichte sie den Höhepunkt ihrer schriftstellerischen Leistung mit Kristin Lavranstochter, für den sie 1928 den Literaturnobelpreis erhielt und der als Hauptwerk der norwegischen Romanliteratur gilt. Darin schildert sie das Leben der Kristin Lavranstochter im 14. Jahrhundert und zeigt mit ihren beeindruckenden Beschreibungen der Natur und Landschaft nicht nur eine exzellente Kenntnis des Mittelalters mit all seinen politischen, sozialen und religiösen Usancen, sondern auch viel Einfühlungsvermögen, um sich in die Menschen dieser Zeit hineinzuversetzen, unabhängig von Alter und Lebensumständen. Mit der Gutsbesitzerstochter Kristin, die als Frau eines Ritters das Gut führt, Krisen und Tragödien durchlebt und schließlich in einem Kloster an der Seuche stirbt, zeichnet sie eine auch im 21. Jahrhundert noch als modern, tatkräftig und entsagungsvolle geltende Heldin.

Bereits im vergangenen Jahr erschien der erste Band "Der Kranz". Kristin ist darin noch das eigenwillige junge Mädchen, der strahlende Liebling ihres Vaters, den dieser dem Sohn eines benachbarten Bauern versprochen hat. Eigentlich en geplantes Leben wie im Buche - bis sich der Tod ins Leben der jungen Kristin schleicht und ein brutaler Mord ihr ihre Jugendliebe entreißt. Sie flüchtet ins Kloster, verliebt sich Hals über Kopf in den schönen Erlend von Husaby, dem ein übler Ruf vorauseilt. Gegen alle Widerstände und obwohl sie damit ihren geliebten Vater fast umbringt, entscheidet sie sich dafür, diese Liebe zu leben. Undsets ganz große Stärke ist die eindrucksvolle Charakterzeichnung, und so lachen und weinen, leiden und lieben wir mit der liebreizenden Kristin, einer starken Frau, die es mit der norwegischen Männergesellschaft des 14. Jahrhunderts aufnimmt und aufnehmen kann. Auch der zweite Band "Die Frau" ist bereits im Herbst 2021 erschienen. Mit der ›Frucht der Sünde‹ im Leib und einer fürchterlichen Angst im Herzen trifft sie als legitime Ehefrau von Erlend Nikulaussohn auf Husaby ein. Erlend ist derweil vor allem mit Politik, mit Kriegszügen und Intrigen, beschäftigt, vernachlässigt den eigenen Hof aufs Sträflichste, überlässt seiner Frau daneben die Sorge um die gemeinsamen und auch die Kinder mit seiner ehemaligen Geliebten. Als eine geplante Intrige in höchsten Kreisen auffliegt, droht die Katastrophe. Gabriele Haefs hat "Kristin Lavranstochter" vollständig neu übersetzt, erstmals, wie es scheint, direkt aus dem Norwegischen, so dass nun endlich auch deutsche Leser in den vollen Genuss von Undsets außergewöhnlicher sprachlicher Ausdruckskraft kommen. Im Mai 2022 kommt mit "Das Kreuz" der Abschluss der Trilogie auf den Buchmarkt. Während die Welt um sie herum immer undurchschaubarer und bedrohlicher wird, gerät darin Kristins eigene Welt zunehmend ins Taumeln: Entfremdet von ihren einstigen Verbündeten, gebeutelt von Schicksalsschlägen und verbittert ob des Niedergangs ihrer Familie, den sie ihrem Mann nicht verzeihen kann, begeht sie einen fatalen Fehler. Und dann wütet - wie heutzutage Corona - auch noch die Pest. Ob Kristin am Ende ihren Frieden finden wird, liegt allein in ihren eigenen Händen.

Sigrid Undset, Kristin Lavranstochter - Der Kranz, Die Frau, Das Kreuz, Alfred Kröner Verlag, Hardcover, 300/450/500 Seiten, ISBN ‎978-3520621016/978-3520622013/978-3520623010, 22/24/25 Euro

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