Adler-Olsen, Natriumchlorid

Zugegeben - Kochsalz oder Speisesalz, wie es bei uns meist genannt wird, hätte als Titel des neuen Krimis des Dänen Jussi Adler-Olsen weit weniger spektakulär geklungen als Natriumchlorid. Der neue Auftrag soll endlich einen Serienmörder zur Strecke bringen, der seit 30 Jahren mordet, ohne dass ihn bisher irgendwer stoppen konnte. Als neuer Fall für das Sonderdezernat Q hoffen viele, dass dies bald ein Ende haben wird.

Eigentlich ist es kein echter Mord, der die Sache ins Rollen bringt, sondern der Selbstmord einer Frau an ihrem 60. Geburtstag. Ihr Tod führt zur Wiederaufnahme eines ungeklärten Falls aus dem Jahr 1988, der einst Marcus Jacobsen mit seinem besten Ermittler Carl Mørck zusammengeführt hat. Jetzt ahnen Carl und seine Mitarbeiter Assad, Rose und Gordon noch nicht, dass dieser Fall das Sonderdezernat Q an die Grenzen bringt, denn seit damals fallen immer wieder Menschen einem gerissenen Killer zum Opfer, der tötet, ohne dass ihm auch nur ein Mord nachgewiesen werden kann. Der Täter wählt sowohl Opfer wie Todeszeitpunkt mit Bedacht und Präzision. Dreißig Jahre lang konnte ihn niemand stoppen und jetzt erschweren auch noch die Corona-Maßnahmen die Ermittlungsarbeiten zusätzlich. Der alte Fall bewegt sich auf Carl zu wie eine Giftschlange, die Witterung mit ihrer Beute aufgenommen hat …

Die großen Themen im neuen Buch sind die schlechte Moral und die erodierenden ethischen Werte, die rund um die Welt immer mehr Menschen akzeptieren und sich an ihnen orientieren. Auch die fragwürdigen Medien mit ihrer Scheinmoral und der Jagd auf Clicks besonders im digitalen Bereich, scheinen die neuen Tendenzen moralischer Verrohung vielleicht nicht zu kreieren, aber immerhin zu verstärken. Viel zu bereitwillig sind sie auf der ganzen Welt bereit, sich für Auflage, Einschaltquote und Werbegeld zu prostituieren und auf jeglichen Anstand zu verzichten. Bei uns ist die Zeitung mit den vier Buchstaben mit ihrem ehemaligen Chefredakteur, der junge Mitarbeiterinnen mit fragwürdigen Forderungen nötigte, nur die Spitze des Eisbergs bei der moralischen Degeneration vieler Medien. Es scheint inzwischen normal zu sein, sich auf den kleinsten moralischen Nenner zu verständigen. Werte wie Sparsamkeit, Sorgfalt, Treue, Loyalität oder Zuneigung gelten zunehmend als unattraktiv. Vielleicht hat der ein oder andere deshalb sogar Verständnis für den Täter, der in einer ebenso fragwürdigen Weise etwas gegen diesen Zustand unternehmen will. Dadurch ist das Sonderdezernat Q maximal gefordert. Ein Tipp des Autors an manche, die Bücher gerne von vorne und hinten lesen: "Lest den letzten Satz dieses neuen Romans erst, wenn er an der Reihe ist".

Manches, was Adler Olsen in seinen Büchern schreibt, wird in der Realität schnell von der Wirklichkeit eingeholt. Der Autor versucht selbst, aus den Nachrichten oder zwischen den Zeilen die Zukunft herauszulesen. Denn es sit manchmal wichtig, was nicht gesagt wird. So entwickeln sich manche Geschichten weiter, manchmal beängstigend, was wohl an seiner ausgeprägten Vorstellungskraft liegt, aber oft sehr wissend vorausschauend. "Es sind nicht wenige Menschen, die die Popularisierung von Themen, zusammen mit dem Verfall von Werten als echte Gefahr für unsere demokratischen Gesellschaften sehen, die in den letzten Jahrhunderten zum Segen der Menschen aufgebaut wurden. Die große Mehrheit jedoch scheint das nicht sonderlich zu irritieren. Mich aber beschäftigt das sehr. Und es erfüllt mich auch mit Sorge! sagt Adler Olsen.

Das Böse kann in seinen Augen sowohl die vorsätzliche psychische oder physische Gewalttat sein, zu der wohl jeder von uns unter gewissen Umständen fähig wäre, aber es kann auch der Politiker sein, der einen Krieg beginnt oder ihn zumindest nicht verhindert. "Eine Person von öffentlichem Interesse, die sich rassistisch äußert, Kollegen, die einander mobben. Natürlich gibt es gewaltige graduelle Abstufungen dessen, was wir „das Böse“ nennen. Ob du mit bloßen Händen jemanden köpfst oder im Namen der Redefreiheit jemanden unter Druck setzt: Im Kern geht es um Macht. Die Essenz ist immer dieselbe. Niemand weiß, woher es kommt, ob wir alle nicht mit „dem Bösen“ geboren wurden. Aber man kann zu ergründen versuchen, unter welchen Umständen es sich Bahn bricht. Und das versuche ich in meinen Büchern." In seinem neuen Buch ist ihm zumindest ein hochspannender, atemberaubender Showdown gelungen.

Jussi Adler-Olsen, Natriumchlorid, dtv, Hardcover, 528 Seiten, ISBN ‎978-3423282802, 25 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024