Sarrasine - Händel a la Balzac
Juan Sancho und Samuel Marino
(c) Alciro Theodoro da Silva/Internationale Händel Festspiele Göttingen
Heute mag uns die Idee fremd vorkommen, verschiedene Musikstücke neu arrangiert zu vereinen, aber in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war diese Praxis durchaus üblich. Als Pasticcio bezeichnete man es, wenn eine Oper oder ein Oratorium aus bereits existierender Musik neu zusammengestellt wird. Dabei waren es nicht nur eigene Kompositionen, die dabei verwendet wurden. Während heute Werke der Literatur und der Kunst urheberrechtlich geschützt sind, gab es früher nur ansatzweise ein Recht am geistigen Eigentum. Die Belohnung des Schöpfers erfolgte meist durch Belohnungen ohne Rechtspflicht. Die Künstler akzeptierten dies, weil sie so eine gehobenere gesellschaftliche Stellung einnehmen konnten und von einem Mäzen - oft dem Landesfürsten - gefördert wurden. Andere traten in den geistlichen Stand ein und waren in Klöstern wirtschaftlich abgesichert. Plagiate mochte man aber schon damals nicht. Auch Händel reagierte verschnupft, als eine andere Opernkompanie 1732 ohne sein Plazet einige seiner frühen englischen Masques aufführte und reagierte prompt mit einem eigenen erfolgreichen Neuarrangement und dem Nachschieben des erfolgreichen Oratoriums Deborah - ebenfalls ein Pasticcio. Auch seine Opern Oreste, Alessandro Severo und Giove in Argo folgen diesem Konstruktionsschema. |
In der deutschen Romantik waren Pasticcios meist verschrien und wurden abfällig als Flickoper bezeichnet, da sie den Glauben an die Unantastbarkeit des Gesamtwerkes erschütterten. Noch heute reagieren viele befremdlich, denn wenn ein Pasticcio nur ein „Best of“ musikalischer Stücke vereint ohne eine schlüssige Handlung damit zu verbinden, wird es schnell langweilig. Nur wer die Musik sorgfältig mit einer Handlung arrangiert, kann daraus ein Kunstwerk schaffen, das den Komponisten gerecht wird oder ihn – im besten Fall – sogar noch übertrifft. |
Juan Sancho als Sarrasine
(c) Alciro Theodoro da Silva
Balzacs Werke zeigen eine ausgezeichnete Schilderung des bürgerlichen Lebens seiner Zeit, stets glänzt Reichtum aus den aufgeputzten Charakteren, doch nur wenige können mit ihrem parvenühaften Verhalten ihre Herkunft verleugnen. Der Erzähler der Novelle ist ein junger Pariser, der sich gerne in Salons herumtreibt. Bei Petrou ist dies Balzac selbst. Von anderen Gästen unterscheidet er sich vor allem dadurch, dass ihm die Künstlichkeit seines Lebens bewusst ist. Er reflektiert über seine Mitmenschen, um der Wahrheit näher zu kommen. |
In Rom erleben sie und Balzac die Geschichte des verliebten Bildhauers Sarrasine, der sich unsterblich in den schönen Opernstar Zambinella verliebt, ohne zu wissen, dass dieser in Wirklichkeit ein Kastrat ist. Die Bewunderung im damaligen Rom galt nämlich den Kastraten, nachdem der Papst Frauen Auftrittsverbot erteilt hatte. Nach der Kastration im Jungenalter blieb bei diesen nicht nur der Bartwuchs aus, auch die Stimmbänder stellten das Wachstum ein. Doch trotz der Bewunderung ihrer Stimmkraft, die es ihnen ermöglichte, sehr lange Töne aushalten oder ebensolche Koloraturen zu singen, blieben sie gesellschaftlich meist ausgegrenzt |
Ronny Thalmeyer, Samuel Marino, Florian Eppinger
(c) Alciro Theodoro da Silva
Von den Arien Händels, die Petrou ausgewählt hat, sind die meisten verworfen oder später hinzugefügt und deshalb bisher selten gehört. Klug gewählt ist die mehrfache musikalische Einbindung von „Lascia la spina“ und der zugrundeliegenden Sarabande, da sie sowohl die Lieblingsarie des Kardinals sind, wie der Ausgangspunkt für die heftige Reaktion des Alten, als er sie Jahrzehnte später im Salon der Lantys erneut hört. Pasticcio, ganz im Stil Händels, der wie Petrou neben unbekannteren Stücken stets einige gekannte Highlights seines Schaffens einbettete. |
„Wenn ich singe, fühle ich mich frei", erzählte er der Kollegin vom NDR. Anfangs musste er sich allerdings erst einsingen, denn sein Sopran erscheint manchmal zu forciert und dadurch in den hohen Trillern zu schrill, dann aber entrückt er mit sanften, unglaublich melodischen Tönen. |
Kammerchor der Universität als Ballgäste
(c) Alciro Theodoro da Silva
(c) Magazin Frankfurt, 2024