Internationale Händel Festspiele Göttingen

Wie in jedem Jahr lockten die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen wieder Zehntausende Besucher in die idyllische Universitätsstadt an der Leine. Bereits seit 1920 finden sie jedes Jahr statt und sind damit das weltweit älteste Festival für Alte Musik. Zwölf Tage gibt man dabei den Besuchern die Möglichkeit neben den Opern Händels auch andere Werke wie Oratorien und Kammermusik zu erleben und oftmals neu kennenzulernen. Mitten in der Pandemie hatte 2021 Jochen Schäfsmeier, der zuvor als Orchestra Manager die Tourneen des Jeunesse Musicales World Orchestra und später als Geschäftsführer die Hamburger Camarata und das Concerto Köln leitete, die Intendanz von Tobias Wolff übernahm den man als Intendant an die Oper Leipzig verpflichtet hatte. In diesem Jahr stand Göttingen von Himmelfahrt am 9. Mai bis Pfingsten am 20. Mai ganz im Lichte Händels. Schon wenn man mit den Stadtbussen unterwegs ist, macht ein fröhliches Halleluja aus seinem Messiah die Fahrtgäste auf den prominenten Ehrengast aufmerksam. Die Festspiele machen die Vielfalt und Schönheit seiner Musik und der ganzen Welt zu ihrem Thema, indem sie für die Besucher ein schönes und vielfältiges Programm zusammengestellt haben.

Festspieloper Sarrasine

(c) Alciro Theodoro da Silva

George Petrou beim Empfang

(c) Alciro Theodoro da Silva

Vollkommen neu – das gab es in den ganzen 104 Jahren seiner Existenz noch nie – war die diesjährige Festspieloper. Der Komponist aus Halle an der Saale war fleißig. Der Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs aus dem benachbarten Leipzig und dem Neapolitaner Domenico Scarlatti hat schon als Kind durch sein gekonntes Orgelspiel die Aufmerksamkeit des Herzogs von Sachsen-Weißenfels erregt, der seinen Vater davon überzeugte, den jungen Georg Friedrich zum Musiker ausbilden zu lassen. Schon als Teenager schrieb er, wie englischer Musikgelehrter später überlieferte „wie ein Teufel“ neue Musik. Über Hamburg und Italien zog es ihn schon als jungen Mann nach London, das später sein dauerhaftes Domizil werden sollte. Schon 1727 wurde er englischer Staatsbürger und kam nur noch zu Besuchen in die alte Heimat, wo seine Werke gerne aufgeführt wurden und wo er seinen Freund Telemann besuchte. 42 Opern hat er bis 1741 geschrieben, genug für eine Auswahl, aber auch hier wäre es zwangsläufig zu Wiederholungen gekommen. Die diesjährige Festspieloper Sarrasine stammt nicht aus seiner Feder, wohl aber die Arien und Musikstücke, die in diesem neuen Opern-Pasticcio verwendet wurden. Meist waren es unbekannte, einst verworfene Händelwerke, die dafür mit einer Novelle des Franzosen Honoré de Balzac verbunden wurden. Daneben standen drei Händel-Oratorien, vierzehn Kammerkonzerte und ein buntes Familienprogramm auf dem Programm. Für die Hauptrollen hatte sich Schäfsmeier zusammen mit George Petrou, dem Künstlerischen Leiter der Festspiele einige der Stars der Alten Musik nach Göttingen und in die Region geholt.

Der Beginn der Göttinger Händel Festspiele war ein wichtiges Signal, sich wieder stärker mit der Musik des Barockkomponisten zu beschäftigen. Auch wenn es heute kaum vorstellbar erscheint, war es eine Renaissance für den Komponisten, denn dessen barocken Bühnenwerke waren weltweit weitgehend in Vergessenheit geraten. Mit Sarrasine hat George Petrou zusammen mit dem Regisseur Laurence Dale einige virtuose aber meist unbekannte Händel-Stücke für die Festspiele neu arrangiert. Etliche dieser Stücke waren zwar von Händel auf Papier veröffentlicht, aber da es sich um verworfene oder ausgetauschte Arien handelte, lange Jahre oder gar nie gespielt worden. Es lag nicht an der Qualität, aber meist folgte der pragmatisch denkende Komponist praktischen oder dramaturgischen Gründen. „Die Händel-Renaissance ist kein historisches Ereignis,“ erläutert Petrou, „sondern kann ein sehr persönliches, sehr intimes Erlebnis sein.“ So werden die Festspiele auch nachdem alle Händel-Opern gespielt sind, weiter Händel entdecken.

Il Trionfo del Tempo e del Disinganno

(c) Alciro Theodoro da Silva

Die Festspieloper und die Oratorien

Israel in Egypt Maarten Engeltjes

(c) Alciro Theodoro da Silva

Für Händel-Fans war diese neue Göttinger Festspieloper Sarrasine, die hier im Deutschen Theater am 10. Mai ihre Welturaufführung erlebte, ein ganz einzigartiges Ereignis. Sehr gut bekannt ist Balzacs Novelle Sarrasine nicht. Der Schriftsteller hatte die Erzählung 1830 als Teil seiner Comédie humaine verfasst, einem Großwerk, an dem er teils bis zu 17 Stunden am Tag schrieb und dabei bis zu 50 Tassen Kaffee trank. Die Novelle ist ein Liebesbrief an die Oper geworden – und an ihre Stars.

Bei der Göttinger Uraufführung hat man mit dem Ausnahme-Sopranisten Samuel Mariño einen der neuen Diven unserer Tage nach Göttingen geholt, Gekonnter kann man Geschlechtertausch auf der Opernbühne kaum umsetzen. Im 18. Jahrhundert war das ebenso normal, nachdem der Papst Frauen ein Auftrittsverbot erteilt hatte und die Kastraten an den Opernbühnen Europas ihre Hochzeit hatten. Auch die Pasticcio-Praxis hatte im Barock Tradition und selbst Händel nutzte sie nicht nur, um seine betörende Musik zu präsentieren, sondern nutzte ebenso gerne passende Stücke seiner Zeitgenossen, die er – das Urheberrecht war noch nicht geboren – in seine Stücke einfügte.

Auch Händels Oratorien sind auch heute nach aktuell. Beim Auftakt am 13. April war „Deborah“ (HWV 51) zu hören, eine der stärksten Frauengestalten der Bibel, die in der Zeit der Richter die Israelis anführte, als Prophetin leitetet und das Ende der Unterdrückung durch die Herrscher Kanaans nach dem israelitischen Exodus aus Ägypten durch einen glänzenden Sieg voraussagte, bei dem der gegnerische Heerführer Sisera durch die Israelitin Jaël mit dem Meißel erschlagen wird. Ein großartiges Ereignis in der Johannis-Kirche bei dem die NDR-Radiophilharmonie unter Leitung von Nicolas McGegan, dem ehemaligen Künstlerischen Leiter der Festspiele, zusammen mit mächtigem Chor und erstklassigen Solisten aufspielte. Auch das zweite Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (HWV 46a), dass am 9. Mai die Festspiele eröffnete, stellte Fragen nach Schönheit und Vergänglichkeit. In die Gegenwart geholt wurde dies sehr gekonnt von der für Oratorien unüblichen Regie und den Videoprojektionen des Konzertdesigners Folkert Uhde. Hier war es George Petrou, der das präzise spielende FestspielOrchester Göttingen leitete, genau wie am 18. Mai bei „Israel in Egypt“ (HWV 54), dass – aktueller kann es beim Blick in die Region kaum sein - von Widerstand und Repression erzählt. Die hochdramatischen Chöre interpretierte klangvoll das NDR Vokalensemble unter Leitung von Klaas Stok.

Für noch mehr Schönheit und Vielfalt haben die Göttinger Festspiele wieder international gefeierte Sängerinnen und Sänger nach Göttingen eingeladen. Darunter Andrew Foster-Williams für die Deborah und als Einspringerin die vom Publikum geliebte Anna Dennis, Emőke Baráth und der leicht indisponierte Xavier Sabata für Il Trionfo. Händel-Liebhaber kamen aber auch für erstklassig besetzte Kammerkonzerte in die Universitätsstadt. In der Alten Aula, die 1837 zum 100. Jahrestag der Universität vom britischen König Wilhelm IV., der als Welfe auch König von Hannover war, gestiftet wurde, spielte am 13. Mai der sehr feinfühlige japanische Geiger Shunske Sato zusammen mit der chinesischen Pianistin Shuann Chai im Konzert „Göttingen 1853 – Auf den Spuren von Joseph Joachim“ Werke, die nicht nur mit Händel zu tun hatten. Den Grund erläuterte vor und zwischen den Stücken der Lübecker Musikwissenschaftler und Brahms-Experte Wolfgang Sandberger. 1853 war nämlich das Jahr, als der 20-jährige Johannes Brahms den zwei Jahre älteren Geiger Joseph Joachim auf einer Konzerttournee eines ungarischen Geigers, bei der er als Pianist engagiert war, in Hannover kennenlernte und die beiden wenig später einige gemeinsame Sommerwochen in Göttingen verbrachten, die vom gemeinsamen Musizieren des Ausnahmegeigers und des jungen Pianisten und Dirigenten geprägt waren. Sandberger gab darüber sehr kenntnisreich und mit einigen Anekdoten Auskunft und einige Stücke, die beide damals gespielt haben dürften. Neben Händels Sonate A-Dur HWV 361 standen dabei die bekannte Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-moll von Johann Sebastian Bach, mit ihren virtuosen Ansprüchen eines von Joachims Paradestücken, die Romanze op. 2 von Joseph Joachim, die Sonate B-Dur KV 454 von Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethovens Kreutzer-Sonate auf dem Programm. Das gut eingespielte Duo bewältigte die Aufgabe mit Bravour.

Franziska Fleischhanderl

(c) Alciro Theodoro da Silva

Kammermusik

Ebenfalls in der Alten Aula widmete sich der französische Cembalist Pierre Hantaï am 19. Mai beim Stiftungskonzert der „Generation 1685“. Freunde der Alten Musik wissen meist, dass 1685 das gemeinsame Geburtsjahr der schon eingangs erwähnten Komponisten Händel, J.S. Bach und Domenico Scarlatti war. Hantaï, der als virtuoser und orthodoxer Exponent des Barockrepertoires gilt, präsentierte dabei neben 6 Sonaten von Scarlatti Händels von französischer Eleganz geprägte „Suite d-Moll (HWV 436)“ und Bachs „Partita Nr. 6 e-Moll (BMV 830)“, mit der er – Partiten sind das Pendant zu Suiten – nach den sechs Englischen und sechs Französischen Suiten den kompositorischen Schlussstein für dieses Großprojekt für Cembalo setzte. Während Johann Sebastian Bach seiner Heimatstadt Leipzig verbunden blieb, haben Händel und Scarlatti im Laufe ihrer Karriere die Höfe Europas kennengelernt. Trotz der Rivalität zwischen beiden in Italien, haben sie sich angefreundet und später mit Hochachtung voneinander gesprochen. Bei einem Wettkampf in Rom siegte Händel im Orgelspiel, während Scarlatti beim Cembalospiel die Nase vorn hatte.

Man spürte nicht nur dadurch, dass Hantaï Scarlatti an den Anfang der musikalischen Matinee setzte, seine Liebe zu dem Komponisten, bei dessen Sonaten er in schnellen Sätzen mit feinen Verzierungen seine ganze Virtuosität zeigen konnte. Vieles an dieser Musik erinnert an Spanien und dessen Volksmusik, wohin der zurückhaltend lebende Scarlatti 1729 nach dem Tod des beherrschenden Vaters, dem Opernkomponisten Alessandro Scarlatti zog. Überhaupt trat der Einzelgänger erst im reifen Alter von 50 Jahren aus dessen Schatten und es ist ein Segen, dass er dann sehr fleißig wundervolle Sonaten schrieb, die ihn für die Nachwelt den Vater überwinden ließen. Wahrscheinlich hatte seine glückliche Ehe mit der 26 Jahre jüngeren Maria Catarina Gentili daran keinen kleinen Anteil. Bei den folgenden sehr eingängigen Sonaten von Händel und Bach erlebt man eher den Norden Europas. Die Tempi sind ausgewogen und die Kadenzen Schwungvolle, eingängige Melodien erklingen, als er Händels Suite d-Moll spielt. Im Gegensatz zu Scarlatti neigen die Stücke Händels und Bachs eher zu ausgewogeneren Tempi und subtil gewählten Verzierungen, aber sie bleiben, wie vorgesehen im Barock, höfische Tänze.

In der 2022 eröffneten Sheddach Halle des Sartorius-Quartiers, wo Göttingens DAX-notierter Pharma- und Laborzulieferer einst seinen Sitz hatte, spielte am 12. Mai in der historischen Halle mit dem Sägezahn-Dach das deutsche Kammerspielensemble NeoBarock zu Love Trips mit Rausch- und Reiseführer Peter Glas auf. Bedient hatten sie sich dabei neben Händels Delirio amoroso HWV 99 einer Ballett-Oper Jean-Philippe Rameaus „Les Indes galantes“, in der Rameau Liebesgeschichten aus der Türkei, Peru, Persien und dem Wilden Westen Amerikas mit virtuosen Streicherklängen und Soloeinlagen der Holzbläser hinterlegt hatte. Der Kölner Schauspieler Peter Glas erzählte dem Publikum die dazugehörigen Geschichten und führte bei Händels Delirio amoroso in die Geschichte ein, in der sich die um ihren Geliebten trauernde Chloris hinab ins Totenreich begibt. Dort findet sie ihn zwar, doch er reagiert nicht und treibt die Trauernde in den Wahnsinn. Das Libretto ohne Happy End stammt übrigens vom kunstsinnigen Kardinal Benedetto Pamphilj, der schon bei Händels Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ als Autor tätig war.

Aus der barocken Hausmusik kennt man das Saltero, die Kastenzither, die man – wenn sie geschlagen wird – auch Hackbrett nennt. In einem der traditionsreichen Göttinger Unternehmen, der Weinkellerei Bremer am Wall, die mit ihrer jahrhundertealten Expertise über passende Weine auch die Festspiele mit Wein versorgen, hatte die junge Salterito-Expertin Franziska Fleischhanderl bei einer Lesung mit Wein und Musik am 15. Mai ihren Auftritt. Sie spielte dabei ein Salterito aus dem Jahr 1725 und gilt als die erste Musikerin, die das barocke Instrument in all seinen historischen Spieltechniken vom battuto-Spiel mit dem Hämmerchen über den Finger-Pizzicato bis zum Plektren-Pizzicato beherrscht und wieder erklingen lässt und damit die Aufführungspraxis revolutioniert. Sie ist deshalb ein gern gesehener Gast auch bei anderen Festivals der Alten Musik. Aus dem reichen Repertoire für das Instrument wählte sie unter anderem Werke von den Italienern Vivaldi und Ubaldi sowie des Spaniers Canales. In den Pausen unterhielt der Göttinger Schauspieler Moritz Schulze mit Texten von Bloch, Baudelaire und Rilke.

Shunske Sato

(c) Alciro Theodoro da Silva

Ausflüge in die Region

Chaconne Ensemble

(c) Alciro Theodoro da Silva

Doch nicht nur in Göttingen selbst waren die Internationalen Händel Festspiele aktiv, sondern bezogen, wie schon in den Vorjahren, auch diesmal wieder die kleinen Orte der Umgebung ein. Ebenfalls eine alte Hansestadt wie Göttingen ist Northeim. Die Altstadt ist recht gut erhalten und zum Teil sehr schön restauriert, die Stadthalle ein moderner Zweckbau, in dem der ARD-Preisträger Lutz Koppetsch am 11. Mai zur Barocken Begegnung mit dem Saxophon aufspielte. Händel konnte das Saxophon noch nicht kennen, es wurde erst ein knappes Jahrhundert später vom Belgier Adolphe Sax erfunden. Insofern gibt es von ihm natürlich keine Kompositionen. Doch Koppetsch griff auf das Konzert g-moll HWV 287 für Oboe, Streicher und Basso contiuo zurück, dass für Sopran-Saxophon und Orchester transkribiert wurde. Daneben standen das in der Sowjetunion fälschlich dem italienischen Renaissance-Komponisten Giulio Caccini zugeschriebene Ave Maria von Wladimir Wawilow für Alt-Saxophon und die Transkription des Konzerts C-Dur RV 469 von Antonio Vivaldi. Begleitet wurde Koppetsch dabei vom Bayrischen Kammerorchester mit Residenz im idyllischen Bad Brückenau unter der Leitung seines ehemaligen Chefdirigenten Johannes Moesus. Das 1979 gegründete Orchester besteht aus Berufsmusikern Mitteleuropas, die sich regelmäßig als Kammerorchester zusammenfinden und bei verschiedenen Festivals in Deutschland und Europas auftreten.

Spannend am Koppetsch-Konzert war sein Spiel mit unterschiedlichen Saxophonen, die er im Konzert den Zuhörern mit ihren Besonderheiten vorstellte. Händel hätte die Idee, seine Konzerte für neu hinzukommende Instrumente wie dem Saxophon mit seinem markanten, rauchigen Klang und der kernigen Tiefe zu transkribieren sicher gefallen. Viele Musikfreunde kennen nur das Altsaxophon, doch ähnlich wie bei der menschlichen Stimme gliedert man die Tonlagen der verschiedenen Saxophontypen vom Sopran bis Subkontrabass.

Nach Duderstadt, der Hauptstadt des westlichen Eichsfelds, führte uns die Festmusik aus alten Hansestädten, die unter dem Titel Veni Sancte Spiritus vom Europäischen Hanse-Ensemble unter der Leitung dessen Gründers Manfred Cordes Kompositionen unbekannterer städtischer und kirchlicher Musiker wie Crato Bütner aus Danzig, Thomas Selle und Hyronimus Praetorius aus Hamburg und Mrcin Mielczewski aus Breslau zu einem Konzert im Festsaal des Historischen Rathauses versammelte.

Das junge Ensemble setzt sich jedes Jahr zusammen aus Studenten und Absolventen der europäischen Musikhochschulen, deren Fokus auf Alter Musik liegt. Die Zeit für Proben war sehr knapp, denn die jungen Musiker trafen erst wenige Tage vor dem Konzert in Duderstadt erstmals zusammen, doch die Qualität des Spiels unter der einfühlsamen Leitung des erfahrenen Hochschullehrers Cordes. Die vorgestellten Stücke stammen aus der Zeit um 1600 und zeigten eine Klangwelt, die wenig mit den späten Oratorien Händels gemein hat. Zinken, Posaunen, Violinen in alter Mensur, Viole da gamba, Dulzian, Lauteninstrumente und Orgel beherrschen neben Sänger:innen die Bühne und spiegeln das musikalische Leben der alten Hansestädte wider. Ein Gewinn für Musikfreunde, denn die Musik der nur Fachleuten bekannten Komponisten, die damals in den Hansestädten gewirkt haben ist heute leider nur noch sehr selten zu hören sind. Das Ensemble kooperiert eng mit dem Europäischen Hansemuseum in Lübeck und wird von dort aus koordiniert.

In Hannoversch-Münden, nahe dem Zusammenfluss von Werra und Fulda zur Weser, spielte am 19. Mai im alten Welfenschloss das Chaconne Ensemble, die früher Teilnehmer der göttingen händel competition waren auf den Spuren des Reisetagebuchs eines Komponisten auf in Händels Europa. Es wurde zu einem Wechselspiel der beiden befreundeten Komponisten Händel und Scarlatti mit Klaviersonaten Scarlattis und Originalkompositionen Händels auf französische und spanische Texte. Eine gelungene Kombination von Kantaten aus Händels italienischen Jahren mit Musik, die ihm als Vorbild gedient haben könnte, die er mit großer Aufnahme- und Anpassungsfähigkeit für sich nutzte. Die Kantate La Lucrezia ist quasi wie eine Mini-Oper ohne Szene für die Zeit der Opera proibita im päpstlichen Rom. In Sans y penser erzählt er eine Liebesgeschichte aus dem Schäfermilieu, die vom Ensemble humorvoll umgesetzt wurde.

Siegerensemble Nari Baroque

(c) Alciro Theodoro da Silva

Förderung junger Ensembles durch die göttingen hän

Die FinalistInnen des Wettbewerbs

(c) Alciro Theodoro da Silva

Apropos göttingen händel competition. Wir haben leider nur die Finalrunde am 14. Mai in der Alten Mensa am Wilhelmsplatz besuchen können, waren aber begeistert von den drei jeweils rund 40 Minuten langen Konzerten der Finalisten. Mit Nari Baroque, den Gewinnern spielte ein 2019 gegründetes israelisches Ensemble auf und zeigte die hohe Professionalität der Musiker, die sich nicht hinter den gebuchten Kammermusikern verstecken mussten. Spezialisiert auf Barockmusik mit historischen Instrumenten und ihrer erstklassigen Sopranistin Livro Givoni waren die Werke von Händel, Telemann, Pepusch und Boyce, die sie auch mit der Musik eines zeitgenössischen Komponisten verbanden, ein akustischer Genuss. Zusammen mit Blockflötistin Naomi Hassoun, Yotam Haran am Cello und Guy Pardo am Cembalo räumte Givoni mit Musikalität und technischem Können gleich zwei Preise ab. Wer mag, kann das Preisträgerkonzert am 10. Juni ab 20 Uhr im Programm von NDR Kultur anhören. Doch auch Tra Noi, ein experimentell und historisch geprägtes Damen-Ensemble, dass sich 2023 gebildet hatte und das junge polnische Ensemble Régence Sonore beeindruckten die Juroren, die den Musikern auch hinsichtlich ihrer Programmplanung viele Fragen stellten. Mit den anderen an die beiden Ensembles vergebenen Preise war die Reise nach Göttingen auch für sie ein Erfolg.

„Große Musik entsteht nicht nur aus dem Werk und seinen Interpreten,“ sagt Intendant Schäfsmeier, „ihre kulturelle und gesellschaftliche Kraft schöpft sie aus der Begegnung über die Kunst.“ Mit der Einbeziehung der Region und der gesellschaftlichen Vernetzung auch durch „Händel 4 Kids!“ gab es zahlreiche kostenlose Veranstaltungen „zum Kennenlernen“ und nach den Konzerten meist ein geselliges Meet The Artist. Getragen werden die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen von der gleichnamigen Stiftung, die dieses Jahr ihr 20. Jubiläum feiert, von der Göttinger Händel-Gesellschaft, der Stadt Göttingen und dem Landkreis Göttingen.

© Michael Ritter

Festspielorchester

(c) Alciro Theodoro da Silva

(c) Magazin Frankfurt, 2024