In die Welt der Öffentlich-Rechtlichen Sender entführt uns der neue Krimi von Christine Lehmann.Dort kennts sie sich gut aus, denn sie arbeitete jahrzehntelang als Nachrichten- und Aktuellredakteurin beim SWR, bevor sie sich als Stadträtin für Bündnis 90/Die Grünen in Stuttgart selbst der Politik widmete. »Alles nicht echt« ist inzwischen schon der 13. Krimi um die bisexuelle Detektivin Lisa Nerz, in dem die 66-jährige die unterschiedlichsten Schlaglichter auf unsere Gesellschaft von den 1990ern bis heute wirft. Gängige Rollen- und Verhaltensmuster sind nicht Lehmanns Ding und so probiert sie in scheinbar banalen Situationen des Lebens gerne aus, was passiert, wenn sich ihre Figuren anders verhalten, als man es üblicherweise erwartet und schafft dadurch einen interessanten Kick zum Nachdenken.
Wir schätzen die Bücher aus dem Hamburger Argument Verlag, die sich der Wissenschaft und der politischen Literatur eher kritisch von links nähern mit seinem Appendix Ariadne, die einige der lesenswertesten feministischen und politischen Krimis im deutschen Sprachraum auf den Markt bringen. Bitte Ruhe! Aufnahme! Schichtarbeit, Newsroom-Stress, Hickhack im Team, und alles in einer fremden Stadt – was hat sich Lisa Nerz da aufgehalst? Undercover soll sie in der Nachrichtenredaktion eines öffentlich-rechtlichen Senders einem Datenleck nachgehen. Prompt stößt ihr auf, wie viel Sendeplatz eine lokale Populistin erhält, um Unwahres zu verbreiten. Und dann ist da auch noch eine unidentifizierte Leiche, Todesursache unklar, aber Gewalteinwirkung sicher
In dem neuen Buch geht es um öffentlich-rechtliche Nachrichten, um Narrative, Positionen und Populismus, kurz: um die Suche nach Wahrheit. Ein heiter-kritisch-aufschlussreicher Kriminalroman mit Lisa Nerz, die per Fahrrad in einer ungenannten Stadt ermittelt – natürlich auf eigene Gefahr.
Apropos Fahrrad - neben ihren Romanen, Glossen und Hörspielen betreibt Christine Lehmann einen Fahrradblog. |
Verlegerin Else Lausdan gibt den Lesern noch ein paar Informationen mit auf den Weg: "Hallo, Radio! Was wollen wir hören? – Den Öffentlich-Rechtlichen pauschal vorzuwerfen, sie seien einseitig, beliebig oder befangen, ist leicht und billig in Zeiten des allgegenwärtigen Kreisch- und Pöbelsounds, der eifrig auf Sündenböcke und »Feinde« eindrischt, wobei jeder alles am besten weiß und gern von verschworenen Fronten fantasiert. Als brächte das irgendwie weiter. Nein, wesentlich interessanter finde ich die konkreten Einblicke in Strukturen und Alltag von Nachrichtenproduktion, die "Alles nicht echt" höchst unterhaltsam gewährt. Was ist eine Meldung, wer ist wie verantwortlich für das, was uns stündlich als tagesrelevant verabreicht wird, welchen Regeln folgt Berichterstattung und was hat sich daran im Laufe der Jahre verändert? Wer öfters Rundfunknachrichten hört, wird nach der Lektüre dieses Krimis anders lauschen, so viel kann ich versprechen. Wir erfahren eine Menge übers Radiomachen von Anbeginn bis heute. Denn ein erheblicher Teil der Handlung spielt sich im Funkhaus ab. Mich entzückt der mühelose Spagat aus angespitzten Pointen und erzählerischer Leichtigkeit, den Christine Lehmann hier vollführt, wobei sie das Düstere und Üble nie ausblendet oder bemäntelt. Ganz ohne den im Krimigenre leider vebreiteten klebrigen Pfuhl des Voyeurismus, ohne selbstgerechte Schießwut oder Moralinsäure lässt sie unsere Alltagsspionin Lisa Nerz mit ergebnisoffener Wissbegier durch den Sender strolchen. Dreht hier einen Stein des Anstoßes um, wendet dort ein Klischee, hinterfragt Vorgaben des Altbewährten und interessiert sich für Menschen. Genau diese Neugier aufs Lebendige, auf junge, alte, starke, schwache, garstige, gierige, engagierte, bunte Personen, die gehört für mich zum Stärksten, was Gegenwartsliteratur bieten kann – so wichtig in Zeiten wie diesen."
Christine Lehmann, Alles nicht echt , Argument Verlag mit Ariadne, Taschenbuch, 336 Seiten, ISBN 978-3867542746, 16 Euro |