Reinecke, Hinter den Mauern der Ozean

Reinecke, Hinter den Mauern der Ozean

(c) Diogenes

Bisher hat man immer etwas abwartend reagiert. Klar gibt es seit etlichen Jahren in den Alpen Gletscherschmelze, doch bisher hat man sich stets ausgerechnet, dass der Meerespiegel in den kommenden Jahren jeweils nur um wenige Zentimeter ansteigt. Kein wirklicher Grund, alles zu unternehmen, um den Untergang der Welt zu verhindern. Doch die Weltmeere sind seit einem Jahr so heiß wie nie zuvor. der antarktische »Weltuntergangsgletscher« schmilzt noch schneller als gedacht, denn Satellitenaufnahmen beweisen, dass der Thwaites-Gletscher in der westlichen Antarktis stärker als angenommen bereits von Meerwasser unterspült wird. Sein Abschmelzen würde den Meeresspiegel um rund 60 Zentimeter steigen lassen. Ein internationales Forscherteam geht nun davon aus, dass es nur zehn bis 20 Jahre dauern wird, bis sich der Gletscher in den tieferen Teil des Beckens zurückziehen und zu einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels führen wird. Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Was für Folgen haben die Rekordtemperaturen für Mensch und Natur? Und: Was erwartet uns in den kommenden Jahren?

In Anne Reinekes neuem Buch ist die Welt im Wasser versunken. Der Stadtkern Berlins ist innerhalb einer gigantischen Mauer von dem Wasser verschont geblieben. Nur fünf Menschen leben darin, fünf ›Ewige‹, die jeden Sommer den anreisenden ›Fremden‹ die alte Welt zeigen und ihr Wissen weitergeben. Im Winter sind sie sich selbst überlassen und leben und lieben in verschiedenen Konstellationen. Wird eine der zwei Frauen und drei Männer krank oder altert, verschwinden sie und ein Kind gleichen Namens und gleichen Aussehens kommt in die Stadt. Bis eine der ›Ewigen‹ diesen Zyklus durchbrechen will.

Das Buch schaut Jahrhunderte in der Zukunft. Die ganze Welt ist in den Ozeanen versunken, doch die Innenstadt Berlins hatte man rechtzeitig mit einer gigantischen Doppelmauer umgeben. Bekannte Orte wie der Tiergarten, Potsdamer Platz, Kudamm – die Straßen und Plätze sind menschenleer, keine Autos, keine öffentlichen Verkehrsmittel. Fünf ›Ewige‹ leben in dieser Festung. Sie heißen Friedrich, Wilhelm, Alexander, Else und Lola. Sie wissen nichts über die Welt außerhalb, ob wirklich alles unter Wasser steht, ob es von Menschen geschaffene Inseln des Lebens gibt, ob die Menschheit auf einen anderen Planeten ausgewichen ist. Man versorgt sie mit Essenspaketen per Drohne. Sie haben Felder angelegt, züchten Büffel und reiten zu Pferd durch Berlin. Ihre einzige Aufgabe ist es, im Sommer die ›Fremden‹ durch das instand gehaltene Berlin zu führen und die Kultur der Alten zu vermitteln. Bei Krankheit oder Erreichung eines bestimmtes Alters verschwinden sie eines Tages einfach und niemand weiß wohin. Ist es geplant? Denn rund ein Jahr vorher taucht ein Kleinkind in den Mauern auf, gleichen Namens und später von gleicher Gestalt wie der oder die entschwundene ›Ewige‹. Doch dann will eriner der ›Ewigen‹ diesen Zyklus durchbrechen.

Anne Reinecke, Hinter den Mauern der Ozean, Diogenes Tapir, Hardcover, 240 Seiten, ISBN 978-3257073164, 18 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024