Jeden Tag, während Cushla Lavery ihrer alkoholkranken Mutter das Frühstück macht, sich im Garten mit dem Nachbarn unterhält, ihre Grundschüler unterrichtet oder in der Bar ihrer Familie aushilft, werden die Toten und die Verletzten gezählt. Es ist 1975, und in Belfast eskaliert der Bürgerkrieg. Die katholischen Laverys betreiben ihren Pub in einer überwiegend protestantischen Vorstadt. Sie müssen vorsichtig sein – ein falsches Wort, schon findet man sich auf einer Todesliste wieder. In diesem »Höllenloch« gibt es vieles, was man besser nicht tut. Sich in einen verheirateten Mann verlieben, der nicht nur ein wohlhabender, angesehener Prozessanwalt ist, sondern auch noch Protestant. Sich einmischen, wenn ein Schüler schikaniert und sein Vater fast totgeprügelt wird. Gegen jede Vernunft beginnt Cushla eine leidenschaftliche Affäre mit dem deutlich älteren Michael Agnew, gegen jede Vernunft setzt sie sich für den kleinen Davy ein – und bezahlt einen hohen Preis.
Louise Kennedys international gefeierter Roman erzählt von einer tief gespaltenen Gesellschaft, von einem Konflikt, dessen Wunden bis heute nicht geheilt sind, von Menschen, die versuchen, inmitten täglich stattfindender Gewalt ein normales Leben zu führen. Ein herzzerreißendes, bittersüßes, unvergessliches Buch.
Sehr viel erfährt man nicht über die Autorin, wenn man im Netz nach ihr sucht. Meist landet man bei einer schottischen Namensvetterin, die nur die Initialen ihrer Vornamen verwendet. Zu Louise Kennedy gibt es keine Altersangaben. Immerhin verrät der Göttinger Steidl-Verlag, der jetzt ihren Erstling auf den Markt bringt und seinen Rezensenten ans Herz legt, dass sie in der Nähe von Belfast aufwuchs und bevor sie mit dem Schreiben begann, fast dreißig Jahre als Köchin in Irland und Beirut gearbeitet hat. Nachdem 2021 ihr Band mit Short Stories The End of the World is a Cul de Sac (Das Ende der Welt ist eine Sackgasse) erschien und von der Presse enthusiastisch aufgenommen wurde. |
Die renommierte Sunday Times kürte es gar zum Book of the Year und so wurde die Autorin mit einem Schlag in der englischsprachigen Welt bekannt machte. Jetzt hat sie mit Übertretung (»Trespasses«) ihren ersten Roman geschrieben- Übersetzt haben ihn Claudia Glenewinkel, die nach dem Studium der Germanistik, französische Literatur und Politikwissenschaften in Göttingen als Lektorin bei Steidl die fremdsprachige Literatur verantwortet zusammen mit Hans-Christian Oeser, der in Dublin und Berlin lebt und arbeitet und zahlreiche bedeutende englischsprachige Autoren übersetzt hat, wofür er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk erhielt.
Die Kritiken der englischen und irischen Kollegen waren begeistert. "Louise Kennedys Übertretung ist wie eine zarte Berührung, die einen hart trifft – eine fesselnde Liebesgeschichte, zugleich aber ein Klagelied für eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. Jedes Wort klingt wahr" schrieb ihre Irisch stämmige Kollegin Emma Donoghue. "Man kann gar nicht genug betonen, wie gut der Roman geschrieben ist … Dieses herzzerreißende, warme, traurige und lustige Buch wollte ich überhaupt nicht mehr aus der Hand legen. Das Genre Roman wurde erfunden, um genau solche Geschichten zu erzählen" schrieb der Sunday Independent und Ann Enright war in der Irish Times so begeistert, dass sie es zum mit Abstand besten Buch in diesem Jahr erhob "Nach einer Weile vergisst man zu atmen." Auch wir waren von der zärtlichen, wilden und schönen Geschichte Kennedys begeistert, aus deren fein ausgearbeiteten Details viel Authentizität hervorschaut.
Louise Kennedy, Übertretung, Steidl, Hardcover, 320 Seiten, ISBN 978-3-96999-259-3, 25 Euro |