Crémant de Loire

von Nilgün Burgucu

Es muss nicht immer Champagner sein, denn auch Prickelndes aus Zentralfrankreich kommt in Deutschland gut an: Im Land der Schaumweintrinker hat Crémant de Loire trotz Wirtschaftskrise die Nase vorn. Die mineralischen „Feinen Perlen“, die in Frankreichs zweitgrößter Schaumweinregion nach streng kontrollierten Qualitätsvorgaben hergestellt werden, bieten eine spannende Alternative im Premiumsegment. Deutschland ist nicht nur eines der wichtigsten Weinimportländer weltweit, sondern auch globaler Spitzenreiter in Sachen Schaumweinkonsum und damit der interessanteste Weinmarkt Europas. In Deutschland werden im Jahr durchschnittlich knapp vier Liter Schaumwein pro Kopf getrunken, das ist selbst im Vergleich zu anderen Europäern eine beachtliche Hausnummer. Aber auch der verhältnismäßig stabile Schaumweinmarkt bekam die Krise zu spüren, die Deutschen griffen seltener zum teuren Champagner. Zwar ist dieser mit 87.500 Hektolitern immer noch das Schwergewicht der importierten Schaumweine, doch die Crémants von der Loire haben mit gut 21.000 Hektolitern im Jahre 2009 ihre Stellung in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten verbessern können. Woran das liegt? Sie werden ebenfalls nach äußerst strengen Produktionsrichtlinien in traditioneller Flaschengärung und mehrmonatiger Reifung hergestellt, sind aber gleichzeitig preislich attraktiver und stilistisch abwechslungsreich. Crémant de Loire ist Marktführer unter den „Fines Bulles de Loire“, das sind die Appellationen an der Loire, die nach der „Méthode traditionelle“ hochwertige Schaumweine produzieren: Vouvray, Montlouis-sur-Loire, Saumur Brut, Anjou und Touraine. Insgesamt konnten die Fines Bulles 2009 sogar ein Absatz-Plus von 22 Prozent zum Vorjahr verzeichnen.

Mit gut 1500 Hektar Rebfläche, auf denen meist die Hauptrebsorten Chenin Blanc, Cabernet Franc und Chardonnay wachsen produzieren 28 Schaumweinhäuser, 8 Genossenschaftskellereien und 300 Weingüter knapp 10 Millionen Flaschen pro Jahr, von denen rund 30 Prozent in den Export gehen. Ein Anteil von rund 80 Prozent stellen allein die 11 größten Schaumweinhäuser her. Mit Preisen zwischen 6 und 12 Euro, der im Lebensmitteleinzelhandel oft noch um einen Euro unterschritten wird, bieten die meisten Crémants in eine attraktive Alternative zum teureren Champagner. Besondere Jahrgangs-Premium-Cuvées können aber auch bis zu 18 Euro kosten. Die Nachfrage wächst stetig und hat sich zwischen 2000 und 2007 mehr als verdreifacht. Neben Belgien und Großbritannien ist Deutschland der wichtigste Auslandsmarkt.

Crémant ist nicht gleich Crémant. An der Loire gibt es sechs geschützte Ursprungsbezeichnungen, die seit 2007 unter dem Sammelbegriff „Fines Bulles de Loire“ laufen. Die AOCs Anjou Mousseux, Crémant de Loire, Montlouis-sur-Loire, Touraine, Vouvray und Saumur Brut produzieren seit 1811 Schaumweine nach der Flaschengärmethode und nur sie stehen international für die einzigartige Charakteristik der Schaumweine der Loire. Hier ergeben besondere Böden, ein vom Meer beeinflusstes Klima, ausgesuchte Rebsorten sowie natürliche Kalksteinhöhlen zur Lagerung eine einzigartige Mischung, aus der Schaumweine mit feiner Struktur, Frische und eleganter Frucht entstehen.

Die AOC Crémant de Loire ist dabei als übergreifende Appellation gleichzeitig die bedeutendste Schaumwein-Appellation der Region und wird in 45 Länder exportiert. Die Vorgaben sind besonders streng: Die Trauben, die nur in den AOCs Anjou, Touraine, und Saumur wachsen dürfen, müssen von Hand gelesen werden, der Maximalertrag ist auf 74 hl/ha reduziert und ie vorgeschriebene Mindestreifezeit liegt bei 12 Monaten. Crémant de Loire wird wie in der Champagne schonend gepresst und nach der ersten alkoholischen Gärung auf Flaschen gezogen und mindestens ein Jahr auf der Hefe gelagert, häufig auch drei Jahre oder länger, damit sich die Aromen besser entwickeln und eine feinere Perlage entsteht. Wie bei allen Loire-Schaumweinen spielen die Leitrebsorten Chenin Blanc mit der typischen Frische und Mineralität und Cabernet Franc mit seinen beerigen Noten eine besondere Rolle. Sie verleihen dem Crémant de Loire Schmelz und Komplexität. Daneben dürfen geringe Prozentsätze weiterer Sorten verwendet werden, etwa Chardonnay. Durch die Pflicht die Parzellen beim Institut National des Appellations d’Origine (INAO) vorab zu deklarieren wird verhindert, dass dir Crémant-Produktion sich kurzfristig nach der Marktentwicklung richtet.

Eine große Bedeutung hat das Terroir. Schon lange wissen die Loire-Winzer, dass sie über hervorragende natürlichen Voraussetzungen für die Erzeugung einiger der besten Weine Frankreichs verfügen. Das Produktionsgebiet erstreckt sich von Liré (westlich von Angers) bis Cheverny (östlich von Tours) und schließt die AOC-Regionen Anjou, Saumur und Touraine ein. Von West nach Ost sind das 250 Kilometer. Das Terroir ist außergewöhnlich vielfältig, dabei sind zwei Bodentypen vorherrschend: der Helle („terres blanches“) und der Dunkle („terres noires“).

Der helle oder weiße Typ ist der häufigste. Man findet ihn hauptsächlich in der Gegend von Saumur und in der Touraine. Seine Farbe verdankt er dem Kalktuff, einem glimmer- bis sandhaltigen, feinkörnigen Kreidegestein. Aus ihm sind die weltberühmten Loire-Schlösser und viele Häuser in der Region erbaut. Überall an den Ufern der Loire findet man die alten unterirdischen Steinbrüche, die zum Teil riesige Höhlensysteme bilden. In ihnen herrscht im Sommer und im Winter die gleiche Temperatur – perfekt, um als Weinkeller mit natürlicher Temperatursteuerung zu dienen.

Der dunkle Bodentyp ist nicht zu vernachlässigen. Im Anjou sowie an den Hängen des Loiretals und des Layon spielen diese Primärformationen des armorikanischen Massivs eine wichtige Rolle für die Vielfalt des Crémant de Loire. Sie setzen sich in erster Linie aus Schiefer und Sandstein zusammen. Crémants de Loire von dunklen Böden sind unverkennbar und in der Assemblage mit Weinen von hellen Böden tragen sie zur Komplexität der Schaumweine bei. Im Westen eher sanft, weiter landeinwärts – im Centre – von kontinentaler Prägung, stets jedoch den ausgleichenden Einflüssen des Ozeans und der Loire ausgesetzt: Das sprichwörtliche sanfte Klima im Anjou ist keine bloße Legende. Vom Anjou bis zu den Grenzen der Touraine herrscht ein angenehm freundliches Klima, das besonders vom ozeanischen Einfluss profitiert. Dieser dämpft Temperaturextreme. Bis vor die Tore von Tours gibt es eher wenige Niederschläge, pro Jahr nur etwa 600 Millimeter. Je weiter man in die Region Centre vordringt, desto kontinentaler ist das Klima geprägt. Der Zufluss atlantischer Luftmassen wird durch die Hügel mehr und mehr gebremst, dennoch sind extreme Kälte- und Hitzeperioden in diesem Landstrich so gut wie unbekannt. Hier kann man von einem semikontinentalen Klima sprechen.

Der Chenin Blanc ist die Leitsorte und der Star des Crémant de Loire. Dieser Rebsorte verdanken die Loire-Gewächse ihre Einzigartigkeit und weltweite Popularität. Auch Pineau de Loire genannt, kennzeichnet und prägt diese Sorte den Crémant de Loire auf besondere Weise und verleiht ihm seine Frische und Mineralität. Zum unverwechselbaren Profil des Crémant de Loire tragen aber noch einige weitere Sorten bei. Der Cabernet Franc ist die wichtigste Rotweintraube der Loire und erweitert das Aroma des Crémant de Loire um beerige Noten, während der Chardonnay gern eingesetzt wird, um der Assemblage mehr Geschmeidigkeit zu verleihen. Manche Winzer wählen ihn aber auch zum sortenreinen Ausbau. Cabernet Sauvignon, Pineau d’Aunis und Pinot Noir dürfen zu maximal 30 Prozent in der Assemblage vorhanden sein, aber auch autochthone Rebsorten wie der seltene Orbois dürfen verwendet werden.

Man trinkt den Crémant de Loire am besten bei 6 bis 8 Grad Celsius im tulpenförmigen, schlanken Schaumweinglas. Die weißen Crémants de Loire fallen durch strahlende Brillanz und goldenen Schimmer auf. Vom blassen Stroh- bis hellem Goldgelb mit grünlichen Reflexen spielen die unterschiedlichsten Farbnuancen im Glas. In der Nase verbinden sich Noten von weißen Früchten, Zitrus, Zitronenmelisse, Lindenblüten, Haselnuss und Mandel, gelegentlich auch ein Hauch von Vanille und Lakritz, und ergeben eine sinnliche Aromenvielfalt. Am Gaumen animieren Frische, Balance und Lebendigkeit zum nächsten Schluck. Die Rosé-Crémants spielen farblich vom blassen Rosa mancher Rosenblüten über lachsfarbene bis in helle, kirschrote Nuancen hinein. Reizvolle Noten von kleinen roten Früchten und ihr weiniger Charakter, der gelegentlich auch Anklänge von Tannin verspüren lässt, verleihen den Rosé-Crémants ihren Charme und machen sie zu idealen Speisebegleitern. Crémant de Loire begleitet viele Anlässe, vor allem solche, die so sind wie er: prickelnd, elegant und beschwingt. Die sowohl reinsortig als auch als Cuvées ausgebauten Perlen gibt es in vielen Spielarten, so dass sie sich bei ganz unterschiedlichen Gelegenheiten einsetzen lassen – sei es als Aperitif, zum Dinner-Menü, zum romantischen Tête-à-tête oder bei Partys.

Seine Frische macht Crémant de Loire zum idealen Aperitif – und bei dieser Gelegenheit wird er traditionell auch gerne gereicht. Gerade restsüße Crémants sind als Aperitif besonders empfehlenswert, eignen sich hervorragend für Empfänge oder auch zum Dessert. Crémant de Loire ist selbst exotischen Häppchen gewachsen: Pikante Langustenspieße, in Sesam gewendete, gegrillte Ananas und eine Spur marinierten Ingwers (wie zu Sushi) bieten dem Gaumen willkommene Überraschungen. Die röstigen, leicht nussigen Noten des Sesams ergänzen sich ideal mit den feinen Toastaromen des Crémants. Die Langusten bringen süßliche Nuancen ins Spiel, die Ananas Frucht und Frische, und die pikante Ingwer-Note erweckt den Crémant vollends zum Leben. Wegen ihrer Raffinesse eignen sich leichte, fruchtige Crémant de Loire-Varianten gut für gesellige Anlässe und machen Spaß auf Partys.

Strukturreichere Schaumweine von der Loire harmonieren wunderbar zum Menü und sind perfekte Begleiter von Fisch, Meeresfrüchten und Fleisch. Unter den vielfältigen Crémants von der Loire gibt es für jeden Gang die passende Spielart. Ihre unaufdringliche, fruchtige Frische steigert den Genuss des Essens während der ganzen Mahlzeit. Ein knuspriges Bresse-Huhn in sahniger Sauce zum Beispiel lässt knackige Elemente mit den prickelnden Perlen spielen und das zarte Fleisch unterstreicht vorteilhaft die Eleganz des Crémants. Eine bestechende Kombination ist auch Steinbutt an einer Sauce, die mit Crémant de Loire zubereitet wurde. Die Flasche teilt man am besten so auf: 150 Milliliter in die Sauce, 600 Milliliter in schlanke Gläser auf den Tisch.

Im Februar demonstrierte Master Sommelier Hendrik Thoma in Frankfurt die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Der Hamburger ist einer von 175 Master Sommeliers weltweit. Was beim Musiker das absolute Gehör, ist bei Hendrik Thoma die feine Nase. Sein Handwerk erlernte er im kalifornischen Napa Valley und im Hamburger Hotel Louis C. Jacob, dessen Chefsommelier er 12 Jahre lang war. Seine unkonventionelle Art und seine innovativen Ideen machten das Haus zu einem Anziehungspunkt für Weinfans aus aller Welt. Man trifft Thoma oft auf Reisen rund um den Globus, bei denen er neue Eindrücke sammelt, mit den Winzern diskutiert und ihre Weine verkostet. Dreimal war er Sommelier des Jahres und hat sich auch als Weinautor einen Namen gemacht. Jetzt kann man seinen Entdeckungen in der Web-Wein-Show TVino.de folgen, die er im Netz präsentiert. Als großer Kommunikator seiner Zunft hat er die Gabe, komplexes Weinwissen mit erfrischender Leichtigkeit auf das Wesentliche zu reduzieren. Sein Credo ist so bodenständig wie er selbst: "Entmystifiziere den Wein, aber lass ihm seinen Zauber!". Über 30 Gäste probierten knapp 20 Crémants von der Loire vor der Frankfurter Skyline. Zu den vielen Weinjournalisten gesellten sich auch Sommeliers und Gastronomen. Die Gastgeberinnen Carolin Gestin (Union des Maisons de Fines Bulles de Loire) und Nathalie Safran (InterLoire) standen für Gespräche zur Verfügung und wurden von Vertretern großer Schaumweinhäuser unterstützt.

(c) Magazin Frankfurt, 2024