Nennt mich Rembrandt" im Städel

Wer als Künstler Erfolg haben will, der sollte nicht NUR sehr begabt sein, sondern auch verstehen, die Kunstkritik, die potentiellen Käufer und die Gesellschaft davon überzeugen. Rembrandt van Rijn, wie der niederländische Künstler, dessen Werke jetzt im Frankfurter Städel gezeigt werden, eigentlich mit vollständigem Namen hieß, hat das mit dem nötigen Selbstvertrauen mustergültig geschafft.

Aufgewachsen ist der 1606 geborene Müllerssohn im südholländischen Leiden, wo 31 Jahre zuvor die erste Universität der Niederlande gegründet wurde. Auch der 14-jährige Rembrandt schrieb sich dort nach der Schulzeit im Fach Philosophie ein, brach das Studium allerdings schnell wieder ab, da er eine Ausbildung zum Maler beginnen wollte. Die ersten vier Studienjahre lernte er bei dem für seine Höllenszenen bekannten Historienmaler Jacob Isaacsz van Swanenburgh, der lange Jahre in Italien geschult wurde und gearbeitet hatte, bevor er in seine Heimatstadt zurückkehrte. Später ging er zur Fortführung seiner Studien für ein halbes Jahr nach Amsterdam zu dem bekannten Historienmaler Pieter Lastman.

1625 kehrte Rembrandt in die Stadt am Oude Rijn zurück, wo er mit seinem Freund Jan Lievens eine eigene Werkstatt eröffnete. Dort wurde der einflussreiche Constantijn Huygens, der Sekretär des Statthalters Frederik Hendrik auf ihn und Lievens aufmerksam wurde, Aufträge vermittelte und die Künstler unterstützte. So landeten schon 1629 und 1630 zwei Bilder am englischen Hof. Nach diesen ersten Erfolgen und dem Tod des Vaters siedelte der ambitionierte Rembrandt 1931 in die nur 45 Kilometer entfernte niederländische Hauptstadt Amsterdam über, das gerade boomte und in dieser gern als „Goldenes Zeitalter“ bezeichneten Epoche zu einer der wichtigsten Metropolen der Welt avancierte. Die Hafenstadt Amsterdam war der Ort, in dem die Schiffe der mächtigen ost- und westindischen Handelskompanien Waren und Luxusgüter aus aller Welt anlandeten, die von dort ihren Weg zu den Abnehmern fanden. Die Bevölkerungszahl wuchs damals in knapp einem Jahrhundert von 30.000 auf über 200.000 an. Inmitten des kriegszerrütteten Europas bot Amsterdam einen starken Der Begriff vom „Goldenes Zeitalter“ ist inzwischen in die Kritik geraten, denn er beschönigt den durch Sklaverei und Ausbeutung entstandenen Wohlstand.

Licht zieht Motten an und so wetteiferten in der aufstrebenden Weltmetropole viele begabte Talente der Malerei. Der Kunstmarkt boomte in einem Umfang, der in der Geschichte seinesgleichen sucht. War normalerweise die Gruppe potenziellen Auftraggeber mehr als überschaubar, sorgte das durch den Handel sprudelnde Geld schnell zu einer breiteren Schicht an Kunstliebhaber, die zwar nicht alle Porträts oder Historienbilder orderten, aber kleinformatige Stillleben und Landschaftsbilder fanden reichlich in allen Qualitätsstufen und Preisklassen Abnehmer. Hier erwies sich Rembrandts Erfindungsreichtum und seine eigenwillige Bildsprache in Malerei und Grafik als ausgesprochen hilfreich.

Rembrandt kaufte sich in Amsterdam beim Kunsthändler Hendrick van Uylenburgh ein, dem führenden Kunsthändler der Stadt, der im Herzen der sich ausweitenden Stadt eine große Werkstatt besaß, in der Kopien hergestellt und Restaurierungen durchgeführt wurden. Die nur vier Jahre währende Zusammenarbeit mit dem rührigen Händler, der zwar selbst eine Ausbildung zum Maler absolviert hatte, aber mit seinem guten Geschäftssinn lieber auf eine Ausübung dieses Berufs verzichtete, war fruchtbar und brachten Rembrandt schnell lukrative Aufträge für Porträts reicher Kaufleute. Auch der Oranier Frederik Hendrik bestellte auf Vermittlung von Huygens mehrere Gemälde Rembrandts.

Für Rembrandt waren die ersten Jahre in Amsterdam ausgesprochen produktiv, Allein im Jahr 1632 entstanden 30 Gemälde neben seiner Arbeit als Werkstattleiter für Uylenburgh, da dies Bedingung für die Aufnahme in die angesehen Amsterdamer Gilde und die damit verbundene Selbständigkeit war. Aber nicht immer kamen die Gemälde des jungen Künstlers gut bei den Dargestellten an. Eines der erwähnten Gemälde des Jahres 1632 war ein Porträt von Amalia von Solms, der Ehefrau des niederländischen Statthalters Frederik Hendrik, das ein bereits bestehendes, von Gerard van Honthorst gemaltes Porträt des Ehegatten ergänzen sollte. Rembrandt malte es als strenges Profil, doch die am Heidelberger Hof sozialisierte Adlige präferierte die Pariser Hofkunst und Rembrandts Bildnis fiel dafür anscheinend zu bürgerlich aus, da die zurückhaltende Inszenierung ihr nicht so schmeichelte, wie der üppige Glanz, mit dem van Honthorst sie sonst darstellte, der deshalb auch mit einem weiteren Porträt der Statthalter-Gattin betraut wurde. Für den Hof war Rembrandt damit erst einmal tabu, doch fand seine Profildarstellung begeistert weitere Verwendung auch bei seinen Mitarbeitern in der Werkstatt.

Vielen Menschen ist Rembrandt als Künstler auch in der Selbstdarstellung vertraut, denn in den mehr als vierzig Jahren seiner Karriere schuf er mehr Selbstbildnisse als jeder andere Künstler seiner Zeit. Durchaus selbstbewusst stellte sich Rembrandt dabei mit aufgelehntem Arm nach den berühmten Vorbildern Raffaels und Tizians in Posen der italienischen Renaissance dar, verlieh aber auch den sogenannten Tronies, porträtähnlichen Kopf- und Ausdrucksstudien, seine Gesichtszüge. Mit den auch als Radierungen für ein breites Publikum geschaffenen Selbstdarstellungen setzte Rembrandt für Wiedererkennung und machte das eigene Gesicht zum Markenzeichen seiner Kunst. Eine anfängliche USP, die aber auch von Schülern und Konkurrenten gerne aufgegriffen wurde. Der Verkauf der Tronies zu moderaten Preisen sorgte ebenfalls zu einer Vergrößerung der Reichweite der Marke „Rembrandt“.

Bei seinen anfangs durch Uylenburgh geförderten lukrativen Porträtaufträgen, mit denen das aufstrebende Bürgertum eigene Prestigeobjekte erwarb, begeisterte er seine Auftraggeber mit feiner Beobachtungsgabe und etablierte sich auch nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Uylenburgh als gefragtester Porträtmaler der Stadt, auch wenn es schon wenige Jahre später begabte Kollegen wie Jacob Backer oder Govaert Flinck verstanden ihrerseits die Kunden lebensnah und elegant mit kostbaren Spitzenkragen und Perlenschmuck in Szene zu setzen. Auch Rembrandt hatte den bisherigen Platzhirsch unter den Porträtmalern der Stadt vom Sockel gestoßen. Heute kennt kaum noch jemand Nicolaes Eliasz. Pickenoy, der seine Kunden mit herrschaftlichen Posen von höchster Eleganz hofierte. Rembrandts dynamische Bewegung und natürliche Lebendigkeit war da ganz anders und mit dem Bruch überkommener Konventionen hob er die Porträtmalerei auf eine neue Stufe. Dabei hatte jeder Künstler seine eigene Technik, um weiße Spitze und schimmernden Satin wirkungsvoll darzustellen Für Rembrandt waren diese Aufträge Gold wert, denn sie boten ihm die Möglichkeit länger mit den gefragtesten Bürgern der Stadt zu reden und so beim Small Talk auch das eine oder andere sonstige Bild an den Mann zu bringen.

Beim Ausstellungstitel greift das Städel auf eine Neuerung im Werk Rembrandts ab 1633 auf, als aus der Signatur „Rembrandt Harmenszoon van Rijn“ das prägnante „Rembrandt“ wurde. Gut, Rembrandt war kein allzu verbreiteter Vorname, aber Mut bedarf es schon, allein auf den Vornamen zu setzen und diesen als Marke zu etablieren. „Das war so, als würde ich sagen: Nennt mich Jochen!“ verdeutlichte der für die Ausstellung verantwortliche Kurator Prof. Dr. Jochen Sander diesen für Rembrandt erfolgreichen Schritt.

Auch wer sich nicht als Kunstkenner bezeichnet kennt meist eines der berühmtesten Bilder Rembrandts: die Nachtwache. Dafür porträtierte er Büchsenschützen in der Kloveniersdoelen, ihrer Versammlungshalle. Meist führten solche aus öffentlicher Hand finanzierten Gruppenporträts neben dem prestigeträchtigen Auftrag zu weiteren Aufträgen. Die Nachtwache als Leihgabe beim Rijksmuseum anzufragen, verwies Sander trotz der ausgezeichneten Reputation des Städels, der sich kaum ein Leihgeber verschließe, als Größenwahn. Doch auch ohne diesen Magneten, der Jahr für Jahr Millionen Besucher nach Amsterdam ins Museum zieht, könne man diesen sich in kommunalen Gruppenbildnissen manifestierenden Bürgerstolz gut durch andere Leihgaben abbilden. Gerne übernahm das wohlhabende Amsterdamer Bürgertum Leitungsfunktionen in gemeinnützigen kommunalen Institutionen wie dem Spinhuis, dem Frauenzuchthaus oder dem Leprozenhuis, einer Versorgungseinrichtung für infektiös Erkrankte. Von den repräsentativen Ämtern der „Regentinnen“ und „Regenten“ zeugen in der Ausstellung zwei große Gruppenbildnisse, in denen stolz das soziale Engagement der Oberschicht vorgeführt wird, ohne die Insassen der Wohltätigkeitseinrichtungen zeigen zu müssen.

Die Börse war wie heute die Wall Street einer der wichtigsten Handelsplätze der Welt, an der sich Kaufleute aus aller Herren Länder trafen. Neben Waren und Wertpapieren hatte dort auch der Kunsthandel einen wichtigen Sitz- Neben den Ateliers war es ein wichtiger Absatzmarkt. Rembrandt hatte eine eher skeptische Haltung gegenüber sogenannten Kunstkennern, die er in einer satirischen Zeichnung als Dummköpfe darstellte.

Eine zentrale Stellung nimmt in der Ausstellung ein Gemälde aus den späten 1630er Jahren ein: die Blendung Simsons. Mit emotionaler Tiefe und einer dramatischen Zuspitzung, die zu seinen Markenzeichen wurden, bot er das Bild wohl in einem Brief 1639 dem ihn gut bekannten Constantijn Huygens als Geschenk an. In dem Bild zeigt Rembrandt einen der brutalsten Momente der biblischen Geschichte, als Simpson, nachdem ihm Dalila sein schützendes Haar geschnitten hatte, von bewaffneten Schergen rücklings gestürzt wurde und man ihm mit einem indonesischen Kris das Auge aussticht. Huygens soll wegen der damit verbundenen Erwartungen Rembrandts auf das Geschenk verzichtet haben.

Auch bei einem anderen Gemälde der Ausstellung bricht Rembrandt mit der Tradition. Nach dem Mythos gilt Ganymed als schönster Jüngling auf Erden, der vom nach allen Seiten offenen Göttervater Jupiter in Gestalt eines Adlers gen Himmel entführt wird, um fortan Mundschenk der Götter zu sein. Michelangelo hatte dieses Bild vor Augen, als er einen attraktiven und muskulösen jungen Mann in den Krallen des Adlers präsentierte, doch was macht Rembrandt daraus? Ein feistes Kleinkind, das heult und aus Angst pinkelt. Schön ist daran nichts und Jupiter muss bei der Auswahl wohl ebenso hellsichtig gewesen sein, wie ein Weinfreund, der einen höllisch teuren Bordeaux eines der Spitzen-Châteaux als Subskription erwirbt, der – vielleicht – nach Jahren den Aufwand lohnt. In seiner provokanten Direktheit blieb Rembrandts Darstellung einzigartig und dürfte unter Zeitgenossen für viel Diskussionen gesorgt haben.

In der Ausstellung „Nennt mich Rembrandt! Durchbruch in Amsterdam“ steht erstmals der Erfolgsweg des jungen, ambitionierten Künstlers aus Leiden zum berühmten Meister in Amsterdam im Zentrum. 60 Kunstwerke Rembrandts treten dabei in Dialog mit Bildern anderer Künstler seiner Zeit. Neben Arbeiten aus dem bedeutenden Frankfurter Bestand, wie der schon erwähnten Blendung Simsons sind dabei herausragende Leihgaben aus internationalen Museen zu sehen. Die rund 140 Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen stammen aus dem Amsterdamer Rijksmuseum, der Gemäldegalerie Berlin, der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, der National Gallery in London, dem Museo Nacional del Prado in Madrid und der National Gallery of Art in Washington und beleuchten den eindrucksvollen Aufstieg und Durchbruch des Künstlers bis zur Mitte der 1650er-Jahre.

Neben Landschaften, Genreszenen und Stillleben sind vor allem dramatische Historienbilder und lebensnahe Porträts zu sehen. In der anregenden Atmosphäre von Wettstreit und Konkurrenz in Amsterdam, wo viele talentierte Künstler um die Gunst des wohlhabenden Bürgertums warben, entwickelte Rembrandt die einzigartig expressive Bildsprache, mit der er sich durchsetzen konnte und unvergessen blieb. Die Die Ausstellung hat das Städel Museum zusammen mit der National Gallery of Canada in Ottawa organisiert. Im Hirmer Verlag erschien dazu ein großer Katalog. Wer möchte kann die Ausstellung auch Online zu Hause erleben. Mit „Museum für zu Hause – Live“ steht zu Preisen ab 5 Euro ein einzigartiges interaktives Kunsterlebnis zur Verfügung bei der sich Interessenten mit Kunstvermittlern zu Online-Touren treffen können und von zu Hause auf der Couch, vom Schreibtisch in der Mittagspause oder mit der Familie im Wohnzimmer die Kunstwerke des Museums entdecken und gemeinsam mit anderen diskutieren kann. Vor Ort kann man das Museum zu einem vorher festzulegenden Zeitfenster zum Preis ab 16 Euro mit Negativnachweis (geimpft, genesen, getestet) besuchen, der zusammen mit einem Lichtbildausweis vorgelegt werden muss. Während des gesamten Besuches muss eine medizinische oder FFP2-Maske getragen werden. Aktuell ist die Buchung von Zeitfenstertickets für 2 Wochen im Voraus möglich. Tickets für die Ausstellung gelten auch für die Städel Sammlung und alle anderen Sonderausstellungen im Museum.

Eine gute Vor- oder Nachbereitung ist der neue Podcast, dessen erste Folge bereits unter blindedbyrembrandt.de und überall, wo es Podcasts gibt, zu hören ist. In vier Folgen nähert sich der Journalist und Moderator Michel Abdollahi einem der Hauptwerke der europäischen Kunstgeschichte aus der Sammlung des Städel Museums: Die Blendung Simsons. Rembrandt malte 1636 diese alttestamentarische Geschichte auf eine rund zwei mal drei Meter große Leinwand. Eines der bewegendsten, schockierendsten und faszinierendsten Werken der Kunst. Warum malte Rembrandt ein solches Bild? Wieso muss man unweigerlich hinschauen, obwohl es eine so brutale Szene ist? Was macht das Gemälde 400 Jahre nach seiner Entstehung heute relevant? Zusammen mit verschiedenen Gesprächspartnerinnen und -partnern etwa aus den Bereichen Kunst, Sport, Unterhaltung und Gesellschaft begibt sich Michel Abdollahi auf die Suche nach Antworten und zu den „blinden Flecken“ dieses Meisterwerks. Daraus entstanden ist der vielstimmige Podcast „Blinded by Rembrandt“, in dem es um nichts weniger als um die großen Themen der Menschheit geht. Jede Folge umfasst eine durchschnittliche Hördauer von 30 Minuten.

Michael Ritter

Rembrandt Blendung Simsons@Städel Museum Frankfurt20170818

(c) Magazin Frankfurt, 2024