In der Themenausstellung „ICH“ zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt bis 29. Mai 2016 Selbstporträts zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Zu sehen sind 40 internationale Positionen aus Malerei, Fotografie, Video, Skulptur und Performance, unter anderem von John Bock, Eberhard Havekost, Alicja Kwade, Mark Leckey, Nam June Paik, Pamela Rosenkranz, Rosemarie Trockel und Erwin Wurm.
Was erwartet man von einem Bild, das ein Selbstporträt sein soll? Die Bestandteile sind eigentlich über Jahrhunderte erprobt: Die Künstlerinnen oder Künstler erforschen ihre Gesichter im Spiegel und setzen diese Erfahrung ins Bild. Die Moderne brachte unzählige Selbstdarsteller hervor und versprach sich von ihnen nicht selten das nackte Selbstbekenntnis. Und heute? Künstlerinnen und Künstler halten dem Betrachter nicht länger ihr Gesicht vor Augen. Sie lassen die Selbstenthüllung hinter sich, entziehen sich dem Blick und gehen auf Umwege – und auch auf Distanz zum eigenen Ich. Oft wissen wir nur, dass es sich um Selbstdarstellungen handelt, weil uns das der Titel verrät: Imi Knoebel präsentiert eine Ansammlung von Utensilien als Selbstporträt mit Pappkarton, Gabriel Kuri eine Kombination aus Isolierfolie und einer Muschel. Abraham Cruzvillegas macht persönliche Dokumente durch Übermalung unlesbar und nennt das „blindes Selbstporträt“, während Ryan Gander statt gemalter Bildnisse die angeblich dafür verwendeten Farbpaletten präsentiert. Günther Förg schreitet kopflos eine Treppe hinab, Wolfgang Tillmans zeigt nur sein Knie und Pawel Althamer seine Kleider. Michael Sailstorfer schreibt seinen Namen in großen Lettern, Sarah Lucas tritt dem Betrachter beinahe ins Gesicht, und Florian Meisenberg lässt ihn per Smartphone-Livestream an seinem Leben teilhaben. |
Ironisch, spielerisch und dekonstruktiv sind diese Selbstporträts von heute. Die Zeiten, in denen sich der Künstler ohne Ironie ins Zentrum des Bildes setzen konnte, sind offensichtlich vorbei. Nicht zuletzt haben sich auch die Rahmenbedingungen einer solchen Bildproduktion erdrutschartig verändert. Erstmals in seiner langen Tradition ist das Selbstporträt heute als Kulturtechnik im Alltag verbreitet und jedem zugänglich. Es ist damit als exklusives Produkt künstlerischer Subjektivität Geschichte. Selbstbildnis ohne Selbst, Porträt ohne Gesicht, Krise der Repräsentation – das Selbstporträt hat sich von der Illusion der Realität verabschiedet. Ähnlichkeit wird gemieden, das Äußere wird verborgen. Die Ausstellung „ICH“ folgt den Bilderstürmern des Ich auf ihrer Suche nach einer zeitgemäßen Form der Selbstdarstellung. Die Ausstellung „ICH“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes sowie durch den Gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen seines temporären Schwerpunktthemas „Transit“ (2015–2017). „Wir können heute feststellen, dass die Selbstinszenierung zum Massenphänomen einer Beeindruckungskultur geworden ist. Die Künstlerinnen und Künstler treten dem entgegen und haben unorthodoxe, spielerische und humorvolle Strategien entwickelt, um die Allgegenwart und die Überkodierung des menschlichen Abbilds in unserer Mediengesellschaft zu hinterfragen. In „ICH“ halten sie uns den Spiegel vor. Die Ausstellung knüpft an die in der vielbeachteten „Privat“Schau 2012 thematisierte Debatte um den Stellenwert der Selbstinszenierung an. Für die Besucherinnen und Besucher bietet sich somit einmal mehr die Gelegenheit, sich mit der eigenen Medienpraxis zu beschäftigen“, so Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
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