Franz Welser-Möst, der 55-jährige österreichische Dirigent ist ein feinsinniger und freundlicher Pultherrscher. Der Büchernarr und aktive Sportler kann aber auch hochgehen wie eine Bombe, wenn es ihn innerlich zerreißt. Ende vergangenen Jahres war es so weit. Da legte er die musikalische Leitung der Wiener Staatsoper nieder, weil er keine faulen Kompromisse mit Operndirektor Dominique Meyer eingehen wollte. Ähnlich deutlich hatte er schon in Salzburg bei den Festspielen reagiert, als sich die Wiener Philharmoniker 2008 gegen die Einladung des Cleveland Orchestra ausgesprochen hatten, dessen Chefdirigent er seit 2002 ist. In diesen mehr als dreizehn Jahren, die er nun schon in Cleveland mit dem Orchester arbeitet, war er - anders als offenbar in seiner österreichischen Heimat - glücklich und erfolgreich. So erfolgreich, dass das Orchester seinen Vertrag bis 2022 verlängerte.
Dabei sind die USA kein einfaches Umfeld für Kultur. Seit Jahren geht dort der Orchestertod um, da mit dem Publikum die überlebensnotwendigen Einnahmen verschwanden, das Tafelsilber langsam aufgebraucht war und Sponsoren andere Betätigungsfelder suchten und fanden. Das weltbekannte Philadelphia Orchestra konnte im letzten Moment gerettet werden, andere, wie die New York City Opera, hatten dies Glück nicht und gingen unter. Kürzungen bei Gehältern, Reduktion des Personals und Programms sind gang und gäbe. Die Zeiten der Spitzenleistungen der großen Orchester schienen spätestens seit der globalen Finanzkrise vorbei zu sein.
Cleveland, einst Stahlschmiede und - nach Detroit - wichtigste amerikanische Automobilstadt, musste schon früher einen Wegzug der Bevölkerung und Einschnitte für das Luxusgut Kultur verkraften. Doch der ehrgeizige Welser-Möst wollte es der Stadt und seinen Geldgebern beweisen. "Permanent erste Qualität liefern" hatte er sich auf die Fahne geschrieben und war bereit dafür zu kämpfen. Knapp die Hälfte der Musiker hat er selbst eingestellt. Mit Erfolg. Das traditionsreiche Orchester, dem vor ihm Pultlegenden wie Erich Leinsdorf, George Szell, Lorin Maazel und Christoph von Dohnányi vorstanden, begeistert durch Virtuosität, Präzision des Spiels und einen ganz speziellen Klang. Hinzugekommen ist durch Welser-Möst Eleganz und klangvollendete Freude am Spiel.
Unter seiner Leitung widmet sich das Orchester jetzt in Aufnahmen von 2014 dem symphonischen und konzertanten Wirken von Johannes Brahms. Neben den vier Symphonien, dem Violinkonzert und den beiden Klavierkonzerten des Komponisten hat das Orchester in seinem Brahms-Zyklus mit der Akademischen Festouvertüre, der Tragischen Ouvertüre und den Haydn-Variationen weitere Glanzpunkte aus dem Oeuvre Brahms‘ eingespielt. Die Solisten sind Julia Fischer beim Violinkonzert und Yefim Bronfman bei den beiden Klavierkonzerten. Schon die Sinfonien spielt das Orchester mit enormer Präzision, großem Tempo und ausgefeilter Dynamik. Man spürt, dass sich Welser-Möst ausgiebig mit der aktuellen Brahms-Forschung auseinandergesetzt hat und die Stücke mit Raffinesse analysiert und so Brahms nicht nur als Romantiker zu Gehör bringt, sondern mit seiner ganzen wilden Suche nach der Musik.