Alljährlich im November steigt bei Deutschlands besten Köchen und vielen Feinschmeckern die Spannung, denn dann verteilt der Restaurantführer „Guide Michelin“ seine Sterne. Wer steigt auf, wer verliert einen Stern? Die Ergebnisse sind bis zuletzt ein gut gehütetes Geheimnis, das erst bei einer Gala gelüftet wird. Die Trends der vergangenen Jahre bleiben. Die Spitzengastronomie wird ungezwungener und jünger, hieß es seitens „Michelin“. Auch an alten Rekorden wird nicht gerüttelt. Baden-Württemberg kommt auf die meisten Sternen aller Bundesländer - der Vorsprung auf Bayern ist riesig.
Die Branche boomt in Deutschland weiter. Noch nie bekamen die Spitzenrestaurants so viele "Michelin"-Sterne wie in diesem Jahr. 292 ausgezeichnete Häuser stehen im "Guide Michelin" 2017, zwei mehr als im Vorjahr. Dabei ist es mehr und mehr eine gekonnte Verbindung von Tradition und Moderne, lobt der Restaurantführer. Zehn Restaurants erhielten die Höchstwertung von drei Sternen - wie im Vorjahr - darunter etwa die beiden Baiersbronner Harald Wohlfahrt (Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach) und Claus-Peter Lumpp (Restaurant Bareiss). Auch Michael Oettinger aus dem Hotel Hirsch in Fellbach bei Stuttgart, den wir erst kürzlich bei einem Sherry-Pairing-Menü besuchten, konnte sich seinen ersten Stern erkochen.
Neu hinzu kamen 28 Restaurants, drei Restaurants erhielten einen zweiten Stern: das Berliner Rutz in Berlin, das Mannheimer Opus V und Geisels Werneckhof in München. Besonders zahlreich waren die Rheinländer beim Aufstieg mit drei neuen Sterne-Gourmettempeln in Düsseldorf und jeweils zwei in Köln und Bonn. Berlin, das zuletzt gastronomisch boomte, verlor trotz zweier Neuzugängen ein Sterne-Restaurant. Mit 74 ausgezeichneten Restaurants, angeführt von Baiersbronn mit zwei mit drei Sterne- und einem zwei Sterne-Restaurant, liegt Baden-Württemberg traditionell vorne, es folgen Bayern und Nordrhein-Westfalen. Michael Ellis, der internationale Direktor des Guide Michelin, freut sich über Deutschlands attraktive und dynamische Gastronomie-Szene mit starken jungen Talenten, die energisch ihr Können unter Beweis stellen wollen.
Da werde man, scherzt Ellis, in Frankreich "langsam nervös". Der Trend geht zu lokal produzierten Zutaten auch in der Sterne-Küche, doch mancher Koch befürchtet dabei ein auf der Strecke bleiben der Wertigkeit und verfeinert sie weiterhin mit kostspielen Hummer oder Kaviar. Manche Köche bringen aber auch gern Rote Bete und Kohl auf den Tisch und versprechen sich davon "Klarheit auf dem Teller" mit einer Betonung einzelner Produkte.
Auch in der Frankfurter Nachbarschaft gibt es ein neues Sternerestaurant, das 360° in Limburg an der Lahn. Fast mag man den vom Volk der Verschwendungssucht bezichtiget Exbischof Tebartz-van Elst bedauern, der sicherlich gerne die Dienste des 30-jährigen Chefkochs Alexander Hohlwein in Anspruch genommen hätte. Mit seiner weltoffenen Aroma-Küche liegt er genau im Trend, schlichte Produkte wertvoll erscheinen zu lassen. Dadurch kann man den Feinschmeckern entgegenkommen, die für ein mehrgängiges Menü lieber weniger zahlen, dafür aber öfter vorbeikommen. Es muss nicht immer Kaviar sein, manchmal reicht auch Rogen. Viele Köche aus dem ländlichen Raum gehen sogar gerne in den Garten oder in den Wald, um die Zutaten für ihre Gerichte zu finden. Gerade jetzt im Herbst sind oft frische Pilze die Ausbeute und wer sich dabei etwas auskennt, findet noch spannenderes als die vertrauten Pfifferlinge und Steinpilze. So gelingt es manchen Koch die regionale Kulturlandschaft auf der Tafel abzubilden.
Man merkt den Restaurants an, dass viele junge deutsche Köche ihre frühen Erfahrungen rund um den Erdball gesammelt haben. Wer heute in Singapur im Sternerestaurant essen geht, trifft dort nicht selten auf deutsche Sommeliers, Restaurantleiter oder Köche (siehe unseren Artikel zum Thema). Manch einer, wie Tristan Brandt vom mit zwei Sternen gekrönten Opus V, verknüpft dabei französische Haute Cuisine mit asiatischen Einflüssen.
“Wer etwas im Leben erreichen möchte, muss hart dafür arbeiten” sagt er und hat dies auch bewiesen. Nach seiner Ausbildung stieg er in die Sterneküche bei Schwarz das Restaurant in Heidelberg ein, kam dann zu Harald Wohlfahrt in die Schwarzwaldstube, bevor er in Frankreich bei Jean-Georges Klein die klassische Sterneküche kennenlernte, in Shanghai Erfahrungen sammelte und als Sous Chef bei Christian Bau in Victor’s Gourmet-Restaurant Schloss Berg tätig war. Im Opus V bietet er seinen Gästen die Wahl zwischen drei bis neun Gängen, von denen ganz wie zuvor beim 2015 geschlossenen Amador in Mannheim meist nur die drei wichtigsten Bestandteile auf der Karte stehen. Die Zusammensetzung des Gerichts ist oft eine Überraschung. Dieses Spiel erlebt man in der Spitzengastronomie immer häufiger.
Die "Bibel der Feinschmecker" erschien erstmals schon 1910 in Deutschland, damals noch ohne Sterne. Den ersten Stern gab es aber erst mit der Neuauflage 1966. Damals bekamen 66 deutsche Restaurants diese Auszeichnung. Das erste Zwei-Sterne-Restaurant wurde 1974 gekürt und die Münchener Aubergine unter Eckart Witzigmann als erstes Drei-Sterne-Restaurant im Jahr 1980. Nur Als einziges Restaurant in Deutschland konnte seit der Erstausgabe im Jahr 1966 durchgängig einen Stern erlangen: das Schwarzwald Hotel Adler in Häusern. Für die Auszeichnung besuchen die professionellen Tester die Häuser, ohne sich zu outen. Sie bezahlen ihre Rechnung ganz normal und melden sich eventuell nach dem Essen, wenn sie zusätzliche Informationen benötigen. Dabei kommt es darauf an, was auf den Teller kommt, die Produktqualität, die fachgerechte Zubereitung und natürlich der Geschmack. Oft kommt man vor der Sternevergabe mehrfach vorbei, um sicher zu gehen, dass sowohl das Preis-Leistungs-Verhältnis wie die Qualität auf gleichbleibendem Niveau sind. (c) Michael Ritter