Schönfeldt, "Und Rapunzel, frisch, grün...

Einen Tag vor dem Valentinstag feiert Sybil Gräfin Schönfeldt ihren 95. Geburtstag. Sie ist die Grande Dame des deutschen Nachkriegsjournalismus. Die promovierte Germanistin und Kunsthistorikerin, die einem ursprünglich aus Sachsen stammenden österreichischen Adelsgeschlecht entstammt, etablierte in den 50er Jahren das Kinderbuch im Feuilleton. Ihre Kolumnen zum Thema "Wie wir miteinander umgehen", die sie über viele Jahre für "ZEIT und "Stern" geschrieben hat, sind ein Plädoyer für ein respektvolles und tolerantes Miteinander. Eine Leidenschaft entwickelte die Gräfin für das Kochen. Von ihrer Mutter konnte sie diese vielleicht in die Wiege gelegt bekommen, aber nicht gelernt haben, denn diese verstarb schon wenige Monate nach ihrer Geburt. Auch ihr Vater hatte mit dem Kochen herzlich wenig im Sinn, wurde er doch als junger charmanter Witwer mit großem Namen von der Damenwelt ausreichend getröstet und bekocht. Ihre Großeltern mütterlicherseits waren von dem Lebenswandel des als Ufa-Pressesprechers arbeitenden Grafen nicht begeistert und holten ihre Enkeltochter von Berlin zu sich nach Göttingen. Als letzter Jahrgang wurde die 17jährige 1944 zum Reichsarbeitsdienst nach Oberschlesien eingezogen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs studierte sie Germanistik und Kunstgeschichte in Göttingen, Heidelberg, Hamburg und Wien und wurde 1951 in Wien zum Dr. phil. promoviert. Ihr Volontariat absolvierte sie 1952 beim Göttinger Tageblatt. Mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann hat sie zwei Söhne und lebt und arbeitet in Hamburg-Winterhude.

Ein Faible der Gräfin ist das Erzählen - auch über das Kochen und das Essen. Das kommt bei den Lesern gut an, die nicht nur eine mit vielen schmackhaften Fotos illustrierte Aufzählung der Zutaten und deren konsekutive Verwendung beim Entstehen der Gerichte als Schritt-für-Schritt-Anleitung lesen wollen, sondern auch gerne etwas über Hintergründe lernen und Tipps bekommen möchten. Ich erinnere mich dabei an ein Gespräch, dass ich vor einiger Zeit mit dem britischen Autor Martin Walker führte, der einem internationalen Publikum erst im höheren Alter durch seine Krimis um den Dorfpolizisten Bruno aus der Dordogne bekannt wurde. Walker ließ seinen Bruno immer auch lokale Gerichte Südfrankreichs zubereiten, ebenso Commissario Montalbano in Andrea Camilleris Serie über den sizilianischen Polizisten oder der Privatdetektiv Pepe Carvalho in den Barcelona-Krimis von Camilleris Vorbild Manuel Vázquez Montalbán. Auch außerhalb der Krimis gibt es Bücher, die viel mit Kochen und Essen zu tun haben. Ich war zum Beispiel tief beeindruckt, von der am letzten Heiligabend überraschend verstorbenen Birgit Vanderbeke, die ab 1993 als freiberufliche Autorin in einem kleinen Ort in Südfrankreich lebte und ihre Erfahrungen als liebevolle Köchin und talentierte Schriftstellerin immer wieder mit Rezepten in ihr Werk und ein Kochbuch einstreute, die sie so erzählerisch auschmückte, dass es über das normale Rezept hinausgeht.

Gräfin Schönfeldt ist insofern zum Glück keine Ausnahme. Unvergessen ihre kulinarische Begegnungen mit Literaten. In "Bei Astrid Lindgren zu Tisch" stellt sie Gemüsesuppe und Fleischklößchen, Pfannkuchen, Zimtschnecken und Grütze in den Vordergrund - alles Speisen, die in den von Millionen Kindern verschlungenen Büchern der großen schwedischen Kinderbuchautorin immer wiederkehren, weil es Karlsson und Madita, Pippi, Michel und die Kinder auf Bullerbü nur zu gern essen. Es ist Astrid Lindgrens eigene Küche, einfach und nahrhaft, wie sie sie als Bauerntochter auf Näs in Smaland kennengelernt hat und in der man wenig braucht, um wunderbare Feste mit sage und schreibe siebzehn Käsekuchen feiern zu können. Ein inspirierender Brückenschlag zwischen literarischer, biografischer und kulinarischer Welt der Autorin.

Momentan arbeitet die Gräfin an ihrem literarischen Küchenkalender für das Jahr 2023, der im Sommer erscheint, schon jetzt hat die edition momente zu ihrem 95. Geburtstag eine limitierte und preislich sehr attraktive Sonderauflage von drei kleinen handlichen Bändchen aus den Jahren 2018 bis 2020 herausgebracht. Das "Kochbuch für die kleine alte Frau", das "Kochbuch für den großen alten Mann" und das "Kochbuch für meine liebste Freundin". Alle drei Bände sind gut lesbare kulinarisch-autobiografische Köstlichkeiten. Nicht nur für all jene, die allein leben, aber eine selbst gekochte Mahlzeit lieben.

Mich sprach besonders das "Kochbuch für den großen alten Mann" an, in dem ich - zumindest optisch - mich selbst erkenne. Männer gab es zwar bereits in dem Kochbuch für die kleine alte Frau. Hier erinnert sie sich an ihre Kindheit, an Verwandte und Freunde, die plötzlich Witwer wurden, davor nie in der Küche gestanden haben. Viele essen nun im Hotel oder Restaurant nebenan morgens, mittags und abends. Auch der hundertjährige Onkel der Gräfin hatte nie gekocht, solange seine Frau lebte, doch dann brachte er es sich selbst mithilfe des schwarzen Kochbuchs seiner Mutter und stundenlangen Telefonaten mit seiner Nichte Sybil bei und kochte dann fröhlich Arraz à la Cubana und zu Weihnachten sogar einen traditionellen Gänsebraten. Um Männer wie ihren Onkel geht es im kleinen, handlichen Kochbuch, aber auch um männliche Singles, die sich mit Fastfood und Suppen versorgen. Nach dem einleitenden Grundwissen, verrät Gräfin Schönfeldt kleine und große Tricks und Tipps zusammen mit Rezepten für eine Person. Der kleine Band macht Lust, samstags auf dem Wochenmarkt zu gehen und frisches Gemüse zu kaufen. Wie immer streut sie darin Geschichten und Erinnerungen aus ihrem langen Leben, die manch einer schon aus ihrer autobiografischen Familiengeschichte "Hoffen auf das Bessere" kennen könnte. Zumindest wird klar, dass die Liebe zum Kochen auch im sehr hohen Alter nie aufgehört hat und aufhören wird, sondern für sie der Ruhepol war und ist - Zeit zum Nachdenken. Auch im dritten Kochbuch der attraktiven Reihe schöpft sie aus ihrem familiären und biografischen Lebens- und Kocherfahrungsfundus und würzt erneut die einfachen, schmackhaften Rezepte mit liebenswerten Erinnerungen und persönlichen Anekdoten.

Ihre liebste Freundin aus Kindertagen wurde kurz Janne genannt und besuchte mit ihr in Göttingen bei den Großeltern als Sitznachbarin die gleiche Schulklasse. Die Mädchen verbrachten viel Zeit miteinander, wohnten in einer Gegend. Ein leichter Grießbrei taucht darin als erstes Rezept auf, gekocht für die Lieblingspuppe der Autorin. Janne, deren Onkel der von den Nazis ermordete Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhöfer und sein Bruder Klaus waren, emigrierte mit den Eltern in der NS-Herrschaft nach England. Ihr jüdisch stämmiger Vater war der Jurist Gerhardt Leibholz. Nach dem Krieg kehrte die Familie nach Göttingen zurück, Leibholz wurde Richter am Bundesverfassungsgericht und die Mädchen blieben trotz unterschiedlicher Studienorte in engen Kontakt und wurden beide Journalistinnen, Janne in London und Gräfin Schönfeldt in Hamburg. Bei einem Besuch stellte die Gräfin fest, dass sie sich - wie zuvor schon ihre erste Stiefmutter - ausschließlich von Dose ernährte, da sie für aufwendiges Kochen weder Zeit nach Lust hatte. Mit einem gemeinsamen Gemüsereis, den sie „Reis à la Janne“ tauften, öffnete sie der Freundin die Tür zur Kochlust. Mehr und mehr Rezepte folgten und auch Anleitungen für Saucen und selbstgemachte Gewürzmischungen und Backrezepten. Insofern ist das Buch ein alltagstauglicher, sinnlich-appetitanregender Stupser für all diejenigen, die eigentlich nicht kochen wollten. Das eigentliche Kochen gerät dabei fast ein wenig in den Hintergrund, denn der warmherzige vom liebevollen Umgang miteinander geprägte Grundtenor des Buchs.

Sybil Gräfin Schönfeldt, "Und Rapunzel, frisch, grün, knackig ...": Kochbuch für die kleine, alte Frau / Kochbuch für den großen alten Mann / Kochbuch für meine liebste Freundin, edition momente, Hardcover, 364 Seiten, ISBN 978-3036060309, 30 Euro

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