Kultur und Natur in der Pontinischen Ebene
Strand bei Sabaudia
(c) Michael Ritter
Die Römer lieben die Dünen und Strände des Tyrrhenischen Meers entlang der Pontinischen Ebene. Einst verpesteten Sümpfe über Jahrhunderte das Klima und schon Cäsar versuchte die Versumpfung zu stoppen. Selbst Goethe hat seine Faust gegen dessen Ende von einer Trockenlegung fantasieren lassen. Gelungen ist dies erst vor rund 90 Jahren dem faschistischen Diktator Benito Mussolini.
Rathaus von Latina
(c) Michael Ritter
Die Architektur des Faschismus im Latium
„Die allermeisten Italiener sind keine Faschisten“, sagt der italienische Journalist Aldo Cazzullo vom Corriere della Sera, „aber sie verbinden auch nichts Negatives mit dem Faschismus“. Wesenzöiche Umbauten von Gebäuden aus der faschistischen Ära in Italien, hat es aus diesem Grunde in den Jahren danach nicht gegeben und so konnte der Faschismus in weiten Teilen des Landes eine unverkennbare und kontroverse Spur in der Architektur hinterlassen. Nicht nur hier in der Region Latium, die das politische und kulturelle Zentrum des faschistischen Regimes bildete, findet man zahlreiche Beispiele für diese spezifische Ästhetik der Macht. Bei einer kurzen Reise kann man von Rom aus einige herausragende Bauwerke betrachten und die Ideologie und die ästhetischen Prinzipien untersuchen, die hinter der faschistischen Architektur in Latium steht. Eigentlich war Mussolini Journalist und bei den italienischen Sozialdemokraten Chefredakteur ihres Parteiorgans Avanti. Den Titel hatten die Italiener von den Parteifreunden in Deutschland kopiert, deren Vorwärts nur schlicht und einfach ins Italienische übersetzt wurde. Nachdem man Mussolini später als Chefredakteur ablöste und wegen nationalistischer Positionen aus der Partei ausschloss, gründete er mit finanzieller Unterstützung der Regierung, einiger Industrieller und ausländischer Diplomaten die Zeitung Il Popolo d’Italia und gründete 1919 die radikal nationalistische und antisozialistische faschistische Bewegung, als deren Führer oder Duce er sich in den nächsten Jahren etablierte. Mussolini unterstütze im Zweiten Weltkrieg Adolf Hitler. Auch Italiens jetzige Regierungschefin Giorgia Meloni startete ihre politische Karriere 1992 in der faschistischen Nachfolgepartei Movimento Sociale Italiano und ihre Partei steht auch heute, wenngleich man sich dem Ausland gegenüber gerne als gemäßigt präsentiert, dem faschistischen Erbe des Duce nahe. Schon 1922 berief König Viktor Emanuel III. Mussolini nach seinem Marsch auf Rom an die Spitze eines Mitte-Rechts-Koalitionskabinetts. Durch Fusion mit der Associazione Nazionalista Italiana war seine Partei zur rechten Sammlungsbewegung geworden. Eine Reform des Wahlrechts sicherte ihm 1923/24 die Mehrheit der Parlamentssitze. Mit einer Ausschaltung des Parlaments, Verbot der antifaschistischen Presse und aller Parteien mit Ausnahme des PNF und dem Aufbau einer politischen Polizei setzte er Zeichen, die wenige Jahre später Adolf Hitler ebenfalls gerne als Blaupause zur Errichtung einer Diktatur nutzte. Als Regierungschef und Inhaber mehrerer Ministerposten erließ er Dekrete mit Gesetzeskraft und war - formal - nur dem Monarchen verantwortlich. |
Natürlich hat man es auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiterverwendet und dort zahlreiche Sportveranstaltungen wie die Sommerolympiade 1960, die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 und die Schwimmweltmeisterschaften 2009 stattfinden lassen. Überlebensgroßen „heroische“ Sportlerfiguren säumen das Stadio dei Marmi, das Marmorstadion. Ein Mussolini-Obelisk und die Piazzale del Impero mit einem marmornen Sphärenbrunnen mit der 3 Meter dicken steinernen Weltkugel. Alles zusammen bietet ein typisches und gut erhaltenes Beispiel der Instrumentalisierung des Sports für die faschistische Ideologie mit ihrem Herrenmenschentum. |
Foro Italico in Rom
Kathedrale von Latina
(c) Michael Ritter
Mussolinis Planstädte in der Pontinischen Ebene
Knapp 70 Kilometer sind es von Rom ins Herz der Pontinischen Ebene nach Latina, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die 1932 von den Faschisten als Città di fondazione, als Planstadt angelegt wurde. Damals hieß die Stadt noch Littoria, was an das Liktorenbündel Fasces anknüpft, das in der Antike als Machtsymbol der Liktoren genutzt wurde und später von den Faschisten wieder aufgegriffen wurde. Heute wird das Fasces in Italien als faschistisches Symbol nicht mehr verwendet, auch wenn es zum Beispiel in den USA oder Frankreich und auch in einigen deutschen Stadtwappen nach wie vor verwendet wird. Bei Littoria liegt ein deutlich erkennbarer Plan zugrunde. Das war leicht, denn man konnte auf eine frisch freigelegte Ebene zurückgreifen und „auf der grünen Wiese“ eine Stadt nach eigenen Vorstellungen aufbauen. Neben Latina sind auch Pomezia und Sabaudia solche faschistischen Retortenstädte. Eigentlich stand Latina im Widerspruch zur anti-urbanistischen Propaganda, die das bäuerliche Landleben feierte. Sie war aber notwendig geworden, um Verwaltung und Versorgung sicherstellen zu können. Angesiedelt hatte man hier Siedler aus Venetien, aber auch Umsiedler aus dem südlichen Latium. In den 60er Jahren setzte man hier auf Atomkraft, eine Technologie, die zwar das erste Atomkraftwerk brachte, den noch ein zweites folgen sollte, das allerdings auch 1987 durch das Referendum über den Atomausstieg Italiens obsolet wurde. |
Mehr als 500 Werke zeigen sein Werk, darunter auch Skizzen und Gemälde, die etwas von dem damaligen Gedanken rund um die Anlage der Gründungsstädte erahnen lassen. Drahtige Arbeiter sind darauf beschäftigt, die Ebene trocken zu legen und die neuen Städte für sich und neue Bürger zu errichten. Es war mehr als andernorts Propaganda für den revolutionären Charakter des neuen Regimes, den Bauern Land zu geben. Mussolini wollte diese neuen "Landkommunen" anlegen, um "antistädtische" Ausrichtung des Faschismus zu demonstrieren. Die großen Städte sollten nicht expandieren, sondern das Land sollte neu besiedelt werden, um dort ein starkes Bevölkerungswachstum zu begünstigen. |
Die Cireceo-Halbinsel von Sabaudia
(c) Michael Ritter
Idyllisches Seebad Sabaudia
Zauberhaft, leider im Sommer von den Römern sehr gut besucht sind die Strände von Latina und Sabaudia. Vor allem Sabaudia ist mit dem Küstensee, der die Stadt umschließt, ein zauberhaftes Ferienziel und durch den Nationalpark weitgehend naturbelassen. Das hat auch Veränderungen verhindert, weshalb nur noch Sabaudia fast unverändert die ursprüngliche Gestaltung erleben lässt, die architektonisch spannend zwischen wuchtigem Klassizismus und Moderne changiert. Ein zauberhaftes Städtchen mit guter Gastronomie und vielen Möglichkeiten für Wanderungen und Radtouren durch den Nationalpark. Vogelfreunde finden entlang der Küstenseen verschiedene Beobachtungsstellen.
Auch einige Weingüter haben sich in den Jahren wieder in der Region angesiedelt, die zu Zeit den alten Römer einen geradezu legendären Ruf genossen, Sowohl der im alten Rom hoch geschätzte Caecuber wie der Falerner, von denen man in alten Schriften viel lesen kann, stammten aus der heutigen Provinz Latina. Rund um den kleinen Ort Gaeta wird als kleine Reminiszenz der Cècubo erzeugt, ein durchaus spannender Rotwein.
Mahlzeit im Il Forno di Procolio
(c) Michael Ritter
Küche und Weine von Latina
Überhaupt hat die regionale Küche der Provinz südlich von Rom einiges zu bieten. Carbonara, Saltimbocca, Spaghetti all'Amatriciana, Gnocchi alla Romana, Artischocken römische Art ... so gut klingt die Liste der Spezialitäten aus der Region rund um die Hauptstadt Rom. An der Küste gibt es frische Meeresküche, im Landesinneren leckere Pastagerichte, die trotz aller Schlichtheit jede Menge Geschmack rüberbringen. Wie stets kommt es dabei auf die richtigen Zutaten an: Ein guter Käse aus der Region und Tomaten von ansässigen Bauern bringen oft das i-Tüpfelchen auf dem reich gedeckten Tisch im Latium. Viele Spezialitäten kommen dabei sehr würzig daher. |
Gerne verwendet man Rosinen und Pinienkerne. Die man bei der Meerbarben-Gericht Trigliette con Uvetta im Ofen zubereitet. Auch gerne verwendet wird wie vielerorts entlang der Küsten der wilde Spargel, gegrillt, gebraten oder frittiert. Und natürlich darf auch Oktopus nicht fehlen, gerne auch mit einem Teller Pasta oder schlotzigem Risotto. |
Festa in Privorno
Fest in Priverno
(c) Michael Ritter
Privorno und Fossanova
Nach Nordosten hin wird die Pontinische Ebene umrahmt von den Lepinischen Bergen, die man einst nach den dorthin aus Etrurien ausgewanderten vorrömischen Stamm Volskerberge nannte. Jahrhundertelang lagen sie sich mit den Römern kriegerisch in den Haaren, bis es denen gelang, sie im 4. Jh vor Christus zu unterwerfen, ihnen dann das Bürgerrecht zu geben und zu Bundesgenossen zu machen. Priverno war eines ihrer Zentren. Nachdem Rom es mit der Via Appia an das Straßennetz anband prosperierte die Stadt auf dem Hügel und blieb bis zur Zerstörung durch die Sarazenen fast ein Jahrtausend lang ein wichtiges Handelszentrum. |
Nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt liegt das ehemalige Benediktinerkloster Fossanova, ein italienisches Nationaldenkmal. Unter den Zisterziensern, die ab dem 13. Jh. hier lebten, war 1274 der wichtige Kirchenlehrer Thomas von Aquin hier auf seiner Reise zum zweiten Konzil von Lyon hier zu Gast. Der Grafensohn aus dem nahen Roccasecca schloss sich den Dominikanern an und hat als Doctor Angelicus philosophisch wichtige Impulse in der Scholastik entwickelt, die ihm die Erhebung zum Heiligen einbrachten. Lyon sollte er nicht erreichen und starb im Kloster. |
Klosterkirche
(c) Michael Ritter
Impressionen
(c) Magazin Frankfurt, 2024