Auf den Spuren der "Stillen Nacht"
Stille Nacht Kapelle Oberndorf
(c) TVB Oberndorf
AUCH IN CHINA KENNT MAN "STILLE NACHT!"
GEBURTSTAGSSTÄNDCHEN FÜR DAS WEIHNACHTSLIED
Kürzlich war ich mit einer Gruppe deutscher und chinesischer Kollegen zu Gast bei den Tujia, einer ethnischen Minderheit in der südchinesischen Provinz Hunan. Unsere Gastgeber baten uns, ihr Willkommenslied mit einem Lied aus unserer Heimat zu erwidern. Gar nicht so einfach. Viele Lieder wurden genannt, doch schnell wieder verworfen, da nicht alle textsicher waren. Schließlich schlug ich „Stille Nacht! Heilige Nacht““ vor und voila, alle konnten einstimmen. „Das kenne ich auch“, sagte mir eine chinesische Kollegin, „ich dachte immer, dass sei ein chinesisches Lied.“ Das zeigt, wie sehr unser Weihnachtslied ins Liedgut der Völker dieser Welt eingegangen ist. |
Niemand hätte vor 200 Jahren auch nur geahnt, dass einmal Milliarden von Menschen das Lied kennen. Bekannt gemacht hatten es zwei Sängerfamilien aus dem nahen Tiroler Zillertal, die von Leipzig bis New York und St. Petersburg die Menschen für volkstümliche Musik begeisterten. Ins Zillertal gebracht wurde es wohl vom Fügener Orgelbauer Carl Mauracher, der das Lied wenige Jahre nach seiner Entstehung an seinem Entstehungsort hörte und mit ins Zillertal nahm. Neben den Strassers, die es 1831 erstmals auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt sangen, waren es ein paar Jahre später "The Rainer Family" die es auf ihrer Amerikatournee zum ersten Mal am Weihnachtsabend in New York sangen. Damit war sein Erfolg nicht mehr aufzuhalten. |
AUF SPURENSUCHE IM SALZBURGER LAND
Ich hätte es eigentlich wissen müssen, denn wenige Wochen zuvor war ich auf Spurensuche im Salzburger Land und Oberösterreich, um dort die Geschichte eben dieses Liedes zu erforschen, dass vor genau 200 Jahren das Licht der Welt erblickte. |
Neben dem Salzburg Museum im Zentrum der Domstadt an der Salzach, wo dem Lied eine große Sonderausstellung gewidmet wurde, haben sich auch die Orte Oberndorf, Hallein, Hochburg-Ach, Hintersee, Lamprechtshausen-Arnsdorf,Wagrain, Mariapfarr und Fügen im Zillertal beteiligt, allesamt Plätze, die mit einen der beiden Schöpfern des Liedes in Zusammenhang stehen. |
DIE ENTSTEHUNG DES WEIHNACHTSLIEDS
Worum geht es dabei? Am Weihnachtsabend des Jahres 1818 ließen sein Dichter Joseph Mohr und sein Komponist Franz Xaver Gruber ihr besinnliches Lied zum ersten Mal nahe Salzburg in der kleinen Oberndorfer St. Nikola-Kirche erklingen ließen. Schon früh fand es den Weg hinaus und wanderte später rund um die Welt. |
Inzwischen wird „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ nicht nur in Deutsch und Mandarin, sondern über 300 Sprachen und Dialekten gesungen. Damit wurde es Teil des kollektiven Gedächtnisses, der Identität des Landes Salzburg, Europas und der ganzen Welt. |
KOPF VON JOSEPH MOHR AM GRUBER-MOHR-DENKMAL
HILFSPFARRER JOSEPH MOHR, DER DICHTER DES LIEDES
Mit Salzburg selbst ist das Lied durch seinen Dichter Joseph Mohr verbunden. Joseph kam im vorweihnachtlichen Salzburg als Sohn der nicht wohl beleumundeten Anna Schoiber zur Welt. Der Pate des Jungen wurde der örtliche Scharfrichter. Zusammen mit seinen ebenfalls unehelichen Geschwistern wuchs er unterhalb des Salzburger Kapuzinerbergs in der Steingasse auf. Erst spät bekannte sich sein Vater, der Musketier Franz Mohr, zu den Kindern und ehelichte die Mutter. |
Man erzählt sich, dass er für einen Geistlichen ungewöhnlich leutselig war. Das half ihm dabei Vertrauen bei den Menschen auszubauen, die durch viele Kriegsjahre finanziell am Boden waren und durch Ernteausfälle und hohe Getreidepreise gebeutelt wurden. |
DAS ZUSAMMENTREFFEN MIT DEM KOMPONISTEN
Zum Glück verstand sich Mohr gut mit dem dort als Kantor und Organist angestellten fünf Jahre älteren Franz Xaver Gruber, der auch in der Schule im benachbarten Arnsdorf als Lehrer tätig war. Mohr bat Gruber, eine Melodie für sein Gedicht zu komponieren, das dann wohl erstmals am Weihnachtsabend zur Gitarre an der Krippe der Schifferkiche St. Nikolaus gesungen wurde und die Menschen gleich von Anfang an begeisterte. |
Durch die neuen Grenzen änderte sich auch in Oberndorf die Landkarte, die manchen zum Fremden im eigenen Land machte. |
DER SIEGESZUG UM DIE WELT
Vom späteren Ruhm ihres Lieds hörten Mohr nichts und Gruber erst Jahre später. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. liebte das Lied und bat 1854 das Salzburger Sankt Peter Stift um eine Abschrift des Liedes, das man fälschlicherweise für ein Werk von Joseph Haydns Bruder Michael hielt, der dort als Nachfolger Mozarts tätig war. Dort bekam mehr oder weniger zufällig Grubers gleichnamiger Sohn die Anfrage aus Potsdam mit, informierte seinen inzwischen im nahen Hallein als Stadtpfarrchorregent tätigen Vater, der mit seiner „Authentischen Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes ‚Stille Nacht, Heilige Nacht‘“ die Urheber des Werks für die Nachwelt festhielt. |
Heute ist von der Kirche in Oberndorf nichts mehr zu sehen. Durch verschiedene Hochwasser zerstört wurde sie später andernorts wiederaufgebaut. An ihrer Stelle errichtete man 1937 die kleine Stille-Nacht-Kapelle, die heute viele Besucher anzieht. Vom nahen Ufer sieht man hinüber nach Laufen, dessen Vorort es bis 1816 war, als der Wiener Kongress die Salzach zur Grenze zu Bayern festlegte. Die Salzschifffahrt, die bis dahin den Ort durch einen Felsen im Fluss, der mit kleinen Kähnen umschifft werden musste, reich gemacht hatte, kam dann langsam zum Erliegen. |
FRANZ XAVER GRUBER UND DIE MUSIK
Erhalten hat sich die Schule im benachbarten Arnsdorf, an der Gruber bis 1829 tätig war. Sie ist die älteste nach wie vor im Betrieb befindliche Schule Österreichs und das Erdgeschoss füllen die inzwischen modernisierten Klassenzimmer. Um die Kinder nicht zu stören, ist das über knarzende Stufen zu erreichende Museum im ersten Stock, in dem uns Kustos Max Gurtner in Empfang nimmt, nur nachmittags zwischen 14 und 17 Uhr zu besichtigen. |
Als der Leinweber-Sohn Gruber 20-jährig die Stelle als Lehrer, Messner und Organist der benachbarten Wallfahrtskirche annahm, war die Dienstwohnung noch von der zum zweiten Mal Witwe gewordene seines Vorgängers besetzt. Pragmatisch heiratete er die ältere Frau und bekam zwei Kinder mit ihr. Als sie 1825 starb heiratete er seine frühere Schülerin, mit der er zehn Kinder hatte. Nachdem diese bei der Geburt des letzten Kindes in Hallein starb heiratete er, erneut Pragmatiker, eine annähernd gleichaltrige Witwe, die ihn, nachdem er 1863 im Alter von 75 Jahren starb, noch um einige Jahre überlebte. |
KOPF VON JOSEPH MOHR AM GRUBER-MOHR-DENKMAL
STIPPVISITE IM STIEGLGUT WILDSHUT
Fährt man weiter an der Salzach entlang in Richtung Innviertel, passiert man bald die Grenze zu Oberösterreich und erreicht das Stieglgut Wildshut der Salzburger Stiegl-Brauerei. Frei von wirtschaftlichen Zwängen produziert man dort mit dem Wildshuter Sortenspiel, der Wildshuter Gmahde Wiesn und der Wildshuter Männerschokolade kleinste Mengen Bier aus eigenem Urgetreide, die mit Fug und Recht den Namen Craft Bier tragen können |
Familiär geführt zeigt es auf sehr authentische Weise, wie Bier gebraut wird und man dies vor Ort genießen kann. |
DIE JUGENDJAHRE FRANZ XAVER GRUBERS
Einige Kilometer weiter erreichen wir Hochburg-Ach, die Heimatgemeinde von Franz Xaver Gruber. Als 1927 die Gemeinde dessen einstiges Wohnhaus unter Denkmalschutz stellen wollte, machte dessen neuer Besitzer kurzerhand Nägel mit Köpfen und riss das baufällige Bauernhaus lieber ab. Doch man wusste sich zu helfen. Als später ein vergleichbares Haus in einer Nachbargemeinde abgerissen werden sollte, kaufte man es ab und baute es renoviert im Ortszentrum auf, wo es seitdem mit alter Einrichtung aus der Zeit ausgestattet, als Franz-Xaver-Gruber-Gedenkhaus und Museum dient. |
Ein Beruf, der eng mit der Musik verbunden war. In der am Salzach-Ufer gelegenen Wallfahrtskirche Maria Ach, lernte der Junge das Orgelspiel. Noch heute beeindruckt auf der anderen deutschen Flussseite die Burg zu Burghausen, die nach Guinness-Buch „längste Burg der Welt“. |
DIE LETZTEN JAHRE VON FRANZ XAVER GRUBER
Franz Xaver Gruber blieb Arnsdorf und Oberndorf auch nach dem Weggang Joseph Mohrs zu seiner neuen Pfarrstelle als Kantor, Organist und Lehrer bis 1829 erhalten. Nachdem seine erste Frau verstarb hatte er, wie schon geschrieben 1825 seine ehemalige Schülerin geheiratet. 1829 übertrug man ihm das Amt des Lehrers im nahen Berndorf und 1835 das des Stadtpfarrchorregent der Stadt Hallein. Dort heiratete der nach dem Tod seiner zweiten Frau erneut und starb, nachdem sich in den 1850er Jahren die Kunde seiner Miturheberschaft von Stille Nacht verbreitete relativ wohlhabend in Hallein – die GEMA und das neue Urheberrecht hätten ihn wohl zum vielfachen Millionär gemacht, doch das kam erst 1936 auf. Zu spät für Gruber, der 1863 starb. Sein Grab befindet sich neben der Halleiner Stadtpfarrkirche, als einzige am alten 1882 und inzwischen in einen gepflasterten Platz verwandelten aufgelassenen Friedhof. |
In seinen 28 Jahren in Hallein war der Komponist in der Salinenstadt auch als Organist der Stadtpfarrkirche und Stiftungsverwalter tätig und komponierte dort zahlreiche weitere Werke, unter anderem die „Halleiner Fassung“ von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ und über 90 Messen. Die von ihm und seinem Sohn Franz gegründete „Halleiner Liedertafel 1849“ besteht bis heute. |
DIE LETZTEN JAHRE VON JOSEPH MOHR
Joseph Mohr war nach der gemeinsamen Zeit mit Gruber in Oberndorf als Priester meist kürzere Zeit in mehrere weitere Salzburger Gemeinden tätig. Es folgte eine zehnjährige Tätigkeit in Hintersee und ab 1837 die Tätigkeit als Vikar in Wagrain. Während er sich in Oberndorf mit seinem sozialen Engagement nicht nur Freunde machte, war es in Wagrain gern gesehen. Unweit des Pfarrhauses steht noch immer der von ihm initiierte Schulbau, der endlich die Platznot der über 100 Kinder von den Höfen der Umgebung beendete. Mit einem von ihm gegründeten Ausgleichsfonds ermöglichte er auch Kindern mittelloser Eltern den sonst kostenpflichtigen Schulbesuch, förderte die Feuerwehr, etablierte einen Kirchenchor und kümmerte sich um die Alten und Armen. Auch das erst nach seinem Tod geschaffene Armen- und Altenheim geht auf sein Wirken zurück. Noch heute singt der Wagrainer Kinderchor in Erinnerung seiner guten Taten jedes Jahr an seinem Grab. Mohrs Lungenleiden, dass er schon seit Kindesbeinen in der kalten und feuchten Salzburger Wohnung hatte verschlimmerte sich später in Mariapfarr. Als Priester musste er dennoch zu jeder Witterung auch auf den in den Bergen gelegenen Höfen rund um den Ort Beistand leisten. |
Bei einem dieser winterlichen Besuche zog er sich eine Lungenlähmung zu, an der er am 4. Dezember 1848 verstarb und auf den örtlichen Friedhof seine letzte Ruhestätte fand. |
(c) Magazin Frankfurt, 2024