Janacek, Jenufa, Deutsche Oper Berlin
Weizenfelder und darüber der weite Himmel Osteuropas. So stellt man sich in Berlin das schöne Mähren vor. So sieht Heimat für eine Kindsmörderin aus, die in ihrer weiten Zelle mit den weißen Wänden sitzt. Doch die Geschichte wird nicht nur hier erzählt, sondern primär in Rückblicken in einem sich öffnenden Rechteck, in dem sich die Katastrophe und ihre Vorgeschichte abspielen. Schon zu Beginn merkt man in Leoš Janáčeks Oper Jenůfa, dass Jenůfas Ziehmutter Kostelnicka, die Mörderin, ebenso wichtig ist wie die Titelheldin der Oper. "Die Ziehtochter" ist auch der Originaltitel, den Janacek seiner erfolgreichsten und meistgespielten Oper gab, die vor einigen Jahren auch in Frankfurt auf dem Spielplan stand.
Als sich Janacek 1892 Gabriela Preissovás Schauspiel ansah, fühlte er sich von den starken, naturalistischen Akzenten der Handlung und den komplexen Figuren, vor allem der Küsterin, stark beeindruckt. Stolz, Glaube, Verletztheit und Geltungssucht zeichnen ihr ein Bild. Die nur scheinhafte moralische Ordnung ihres Dorfes kann sie nur durch Sünde retten und wird zur Kindsmörderin. Auch die leidende Ziehtochter Jenůfa und die Rivalen Laca und Stewa schaffen ein Umfeld, das so stark von dem hergebrachten Theatertraditionen abweicht. Die Handlung und die scharfen Porträts der Opernvorlage werden durch Janáčeks verkürzenden Bearbeitung der Texte noch intensiviert. Ein Dorf in Mähren. Jenůfa hofft, dass ihr Geliebter, Steva Buryja, von dem sie schwanger ist, nicht eingezogen wird und sie bald heiratet. Steva lässt sich ausmustern, aber die Hochzeit wird dennoch auf Anordnung der Stiefmutter um ein Jahr verschoben. Auch Stevas Halbbruder Laca ist in Jenůfa verliebt. In seiner Verzweiflung verletzt er sie mit einem Messer schwer im Gesicht. Von der Stiefmutter versteckt, hat sie inzwischen ihr Kind geboren. Die Küsterin bittet Steva Jenůfa zu heiraten, doch der zieht sich aus der Affäre worauf sie Laca die Hand ihrer Ziehtochter anbietet. Als der wegen des Kindes zögert, behauptet die Küsterin, es sei bereits tot. Sie schickt ihn fort und tötet das Kind. Jenůfa willigt ein, Laca zu heiraten. Während der Vorbereitungen für die Hochzeit findet man das tote Kind unter dem Eis. Jenůfa wird als Mörderin beschuldigt, doch die Küsterin bekennt sich zu der Tat. Sie habe Jenůfas Zukunft retten wollen. Jenůfa vergibt ihr bleibt mit Laca zurück.
In der Berliner Inszenierung von Christoph Loy ist Jennifer Larmore als Küsterin die dunkle Macht, undurchdringlich und Furcht auslösend durch ihre aus Angst geborene Zerstörungswut. Jenůfa wird dargestellt von Michaela Kaune, das liebe Mädchen mit Sopran Donald Runnicles arbeitet am Pult Details aus, statt sie zu übergehen. Joseph Kaiser singt den Steva kraftvoll und mit dem Charme des großen Jungen, der schon von seiner Verlobten (Martina Welschenbach) bevormundet wird. Als er der Küsterin mitteilt, dass er für die Ehe mit Jenůfa nicht mehr in Frage kommt, schreit die träumende Jenůfa "Ein Stein fällt auf mich herunter!" Eine beeindruckende Inszenierung, die jetzt als DVD und Blu-ray erschien. Gekonnt. Manchmal braucht es für großes Theater offenbar nicht viel mehr als einen Regisseur mit dem richtigen Stück zusammenzubringen.
(c) Magazin Frankfurt, 2024