In der umfangreichen Sonderausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ öffnet die Liebieghaus Skulpturensammlung bis 4. September 2016 den Blick auf die wirkmächtige Bilderwelt des antiken Athen und zeigt eindrücklich dessen Riten, Opfer, Prozessionen und Feste. Anhand von über 100 bedeutsamen Leihgaben aus den großen Sammlungen dieser Welt, wie dem British Museum, dem Louvre und den Vatikanischen Museen, wird der Mythos Athens, der Mythos der Stadtgöttin Athena und ihres Sohnes Erechtheus erzählt. Es ist eine Geschichte von Liebe, Sehnsucht, Gewalt, Tod und Versöhnung. Das Leben des Erechtheus und seiner jungfräulichen Mutter wurde in den großen Festen, die den Zyklus des attischen Jahres bestimmten, feierlich begangen. So begann das Kalenderjahr Athens mit dem Geburtsfest des Sohnes und neuen Königs und endete mit der Feier seines Opfertodes. In einer dichten szenografischen Inszenierung durchläuft die Ausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ die zwölf Monate des attischen Kalenders. Auf sinnliche Weise werden die antiken Feste und deren unmittelbarer Bezug zum Mythos Athens durch mannigfache Objekte erfahrbar. Nicht nur in die Riten und Prozessionen Athens schrieb sich der Mythos ein; die Schau zeigt auch auf facettenreiche Weise, wie sich die aufregende Erzählung um Athena in den Bildwerken der Stadt, also den Skulpturen der Marmorbauten, aber auch den statutarischen Einzelweihungen, widerspiegelte. Abschließend werden die beiden historischen Gestalter dieser neu geschaffenen visuellen Welt, der Kulturpolitiker Perikles und sein Generalintendant Phidias, thematisiert, die bis heute das Bild vom antiken Griechenland nachhaltig prägten. Sie waren es, unter deren Regie der glanzvolle Wiederaufbau der Stadt und ihrer Heiligtümer nach der Zerstörung durch die Perser 480 und 479 v. Chr. umgesetzt wurde.
„Die Ausstellung stellt das Athen im goldenen Zeitalter des Perikles ins Zentrum. Keine andere Epoche hat den Begriff und die Vorstellungen von der Klassik so stark geprägt wie die Zeit des Wiederaufbaus in Athen nach dem Sieg über die Perser. In der Liebieghaus Skulpturensammlung wird die zum damaligen Zeitpunkt geschaffene, facettenreiche attische Bilderwelt nun in einer völlig neuartigen Weise der Antikenrezeption wieder zum Leben erweckt“, erläutert Max Hollein, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung. „Wir freuen uns ganz besonders, dass nach vielen Jahren intensiver Forschungsarbeit ein präziseres und auch besser verständliches Bild der Stadt Athen in ihrer Blütezeit erarbeitet werden konnte. Darüber hinaus sind wir für die vielen außerordentlich bedeutenden Leihgaben sehr dankbar. Die Frankfurter Ausstellung vermittelt das aufregende Märchen von Athena und ihrer Feindschaft gegenüber Poseidon in der Gegenwart besonders eindrucksvoll anhand antiker Kunstwerke, aber auch einer eigens entwickelten medialen Aufbereitung“, so Vinzenz Brinkmann, Kurator der Ausstellung.
Während die Ereignisse im Kampf um Troja vielen Menschen heute noch bekannt sind, fehlt es in der Öffentlichkeit oft an grundlegendem Wissen zur großen Stadtgöttin Athena und den „Märchen“ Attikas, der bedeutendsten antiken Kulturlandschaft: Es ist primär die Geschichte der Athena und ihres Sohnes Erechtheus. Der Mythos, der das antike Athen in einem Jahresablauf bestimmte, erzählt das Leben der Göttin. Beginnend mit Athenas Geburt aus dem Kopf des Zeus folgt der Wettstreit mit Poseidon um die Vorherrschaft in Attika, die Geschichte der erotischen Beziehung der jungfräulichen Göttin Athena zum Schmiedegott Hephaistos, die daraus resultierende Zeugung des Erechtheus, die Geburt, Jugend, Ehe und Vaterschaft des Erechtheus, der Krieg mit Poseidon, der Opfertod des Erechtheus für das Wohl des Volkes und schließlich die „Auferstehung“ des Erechtheus als unsterbliche Burgschlange und die Versöhnung der Olympier. |
Die Frankfurter Ausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ skizziert in zwölf Räumen den zwölf Monate umfassenden attischen Kalender und lässt so die Riten, Prozessionen und Feierlichkeiten des Jahreszyklus erlebbar werden. Im Mittelpunkt jedes Raums stehen die jeweiligen Feste, die meist auch die Grundlage für den Monatsnamen lieferten. Anhand von einzelnen Gipsabdrücken des 160 Meter langen Athener Parthenonfrieses (440 v. Chr.), die nach jüngsten Forschungsergebnissen unterschiedlichste Feste im Zyklus des attischen Jahres zeigen, werden die Feierlichkeiten der jeweiligen Monate abgebildet. Auch die Bilder auf ausgewählten und besonderen griechischen Vasen, unter anderem aus der Sammlung des British Museum, London, dem Kunsthistorischen Museum, Wien, oder der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, berichten von den Festen und Zeremonien. Dargestellt sind Vorbereitungen zu Hochzeiten bis hin zu Opferungen am Grab. Zitate aus der antiken Literatur ergänzen die bildlichen Beschreibungen der wichtigen Feste. Die berühmten Skulpturen der Hochklassik aus den Jahren von 450 bis ca. 410 v. Chr. verweisen innerhalb der jeweiligen Monatsräume auf relevante Heiligtümer als Orte der Zeremonien und stellen so einen Zusammenhang zum Mythos her. Mithilfe von Kontextpanoramen die aus Bildern, Grafiken und bewegtem Bild zusammengesetzt werden, vermittelt die Ausstellung einen lebendigen Eindruck der Riten und Feierlichkeiten jener Zeit. Die aufwendige grafische Inszenierung hat das renommierte Atelier Markgraph in enger Abstimmung mit dem Team des Liebieghauses entwickelt.
Der erste Raum der Ausstellung thematisiert Hekatombaion, den ersten Monat des attischen Kalenders. In diesem Monat wurde das wichtigste Fest Athens gefeiert, die Panathenäen zu Ehren der Geburt des Erechtheus. Ihm und seiner Mutter begegnet der Besucher unter anderem in Form der Marmorstatue Athena mit Kind im Korb (um 410 v. Chr.(?), Musée du Louvre, Paris). Sie zeigt die Göttin mit einem Körbchen, in dem sie ihren Sohn, dessen Vater Hephaistos ist, verbirgt. Im Voranschreiten durch die Ausstellung erlebt der Besucher weitere bedeutende Feste: vom Chalkeiafest im Monat Pyanopsion, bei dem der Empfängnis der Gaia gedacht wird, bis hin zum Zeusfest der Dipoliea im letzten Monat Skirophorion. Zum Ende des Jahres stand die Vernichtung des Erechtheus im Mittelpunkt, dessen Wiedergeburt das neue Jahr einläutete. Das Publikum begegnet eindrucksvollen Skulpturen, wie den klassischen Marmorskulpturen der Hera Borghese (um 430/420 v. Chr., Vatikanische Museen, Rom), des Ares Borghese (um 430/420 v. Chr., Glyptothek, München), aber auch Marmorporträts von Perikles, Phidias und Euripides. Ein besonderes Highlight ist die Bronzestatuette des Poseidon mit Dreizack und Schilfkranz (sog. Poseidon Loeb) (um 150 v. Chr., Staatliche Antikensammlungen, München).
Im abschließenden Raum der Ausstellung rücken die historische Architektur und die planerische Erschaffung des hochklassischen Athen selbst mit ihren zentralen Gestaltern in den Fokus. Athen als intellektuelle und kulturelle Hauptstadt der europäischen Antike hatte die größten Denker und Künstler ihrer Zeit an sich gebunden. Von hier gingen daher die wichtigsten Impulse für die Konstituierung des europäischen Bewusstseins aus. Diese Entwicklung wurde durch den Machtpolitiker und Strategen Perikles (um 490–429 v. Chr.) in überragender Weise beschleunigt. Nachdem Athen infolge der beiden Perserstürme nahezu komplett zerstört wurde, entwickelte es sich im 5. Jahrhundert v. Chr. schnell zu einem blühenden Zentrum der Architektur, der Künste und der Philosophie, auch dank der geschickten Finanzpolitik Perikles‘. Er setzte die Zweckentfremdung der alljährlichen hohen Beiträge des attisch- delischen Verteidigungsbündnisses durch, mittels derer er den Wiederaufbau der Stadt und ihrer Heiligtümer finanzierte. Zusammen mit dem Bildhauer Phidias (um 500/490–430/420 v. Chr.) schuf er einen glanzvollen Neuanfang. Bilder von triumphaler Schönheit und Lebenskraft wurden entwickelt und in einer raffinierten Vernetzung innerhalb eines religiösen „Themenparks“, der ganz Athen und sein Umland Attika umfasste, realisiert. Mit Phidias hatte Perikles einen Bildhauer beauftragt, das vielleicht bis heute ehrgeizigste Kulturprogramm der westlichen Welt zu konzipieren. Die Aufgabe dieses gigantischen architektonischen Projekts war es, von Göttern und Helden, somit von den Mythen, die den Ort des Tempels und seines Kults definieren, zu berichten. Die in diesem Rahmen entstehende Architektur wurde vollständig als erzählendes Element verstanden. |