Würde sich der Boden unter unseren Füßen auftun, wir wären überwältigt von den Entdeckungen unter uns. Seien es der Flucht Tunnel 57 in Berlin, die unterirdische Stadt Derinkuyu in Kappadokien oder die neuseeländische Waitomo Cave, die für ihre Glowworms berühmt ist. Der Bildband unternimmt eine Reise durch die Natur und Menschheitsgeschichte zu den Mysterien »unter uns«, erzählt in spektakulären Fotografien, aufwändigen Illustrationen und detailreichen Karten. Geschrieben hat ihn Chris Fitch. Der Geograf ist Autor zahlreicher Bücher über Kartographie und Geografie, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Als früherer Journalist von Geographical, der Zeitschrift der Royal Geographical Society, hat er über Themen aus der ganzen Welt berichtet, unter anderem über Klimawandel, Geopolitik, Kultur und Reisen.
Nicht bei allen Themen in seinem Buch muss man ans andere Ende der Welt reisen, aber – zugegeben – die meisten Orte unter der Erde erfordern von potenziellen Erkundern doch eine weitere Anreise und etwas Mühe. Sicherlich werden sich auch nur wenige Leser finden, die in der Lage und bereit wären zum Beispiel die Werjowkina-Höhle in Georgien zu besuchen, die mit 2212 gemessenen Metern womöglich tiefste Höhle der Welt. Davon gehen die oberen 2000 Meter ziemlich steil bergab und in den untersten rund 200 Metern steht Grundwasser, für das man beim Abstieg durch eisige Kälte zusätzlich eine Taucherausrüstung mitschleppen muss. Als sich vor einiger Zeit Forscher an die Vermessung machten, wäre es fast zu einem Unglück gekommen. Draußen regnete es, wovon das Forscherteam zuerst nichts mitbekam, doch als es dann gefährlich anschwoll und gurgelte, merkten sie, dass der Grundwasserspiegel in der Höhle nicht abhängig von den Jahreszeiten, sondern auch sehr stark vom Wetter im Kaukasus war. Sie rafften rasch alles zusammen, was sie schnell tragen konnten und schafften es gerade noch rechtzeitig in höhere Lagen aufzusteigen, in denen es zwar immer noch feucht zuging, sie aber nicht ertränkt wurden.
Doch nicht alle diese unterirdischen Stellen sind so publikumsfeindlich. Ein schönes Beispiel dafür liefern die sogenannten Cenotes auf der mexikanischen Yucatán-Halbinsel. Rund um Merida liegen diese oft kreisrunden gewaltigen mit klarem Wasser gefüllten Karstlöcher an den Rändern eines frühen Asteroiden-Einschlags, der vor 66 Millionen Jahren einen Großteil des damals noch nicht menschlichen Lebens auf unserer Erde durch einen Tsunami vernichtete. Durch Löcher im Karst entstanden am Rand die Cenotes, von denen rund 900 gibt. Als ich die Region vor Jahren besuchte, waren die Löcher sehr beeindruckend, wenngleich die modernen Mexikaner dort nicht mehr wie die Maya die Götter mit Opfern um Regen bitten, sondern stattdessen jede Art von Müll hineinwerfen, was die Cenotes lange Zeit zu einem Ort machte, den die Touristen eher mieden. Zwischenzeitlich hat zum Glück ein Umdenkprozess begonnen. Auch die meilenlange Lavaröhre Kazumura Cave auf Hawaii ist eine Attraktion für Touristen, wenngleich man beim Klettern aufpassen muss, dass man nicht in eines der Löcher stürzt, die von der üppigen Vegetation überwuchert wurden. |
Moderneren Datum sind die Tunnel von Cu Chi am Saigon River in Vietnam, die in den 1960er Jahren während des Vietnam-Kriegs entstanden. Damals waren zigtausende US-amerikanische Soldaten in Saigon stationiert. Zwar profitierte die lokale Wirtschaft, doch der Preis war hoch. Rundum schlug den Amerikanern nur Verachtung und Hass entgegen, den sie mit bestialischen Flächenbombardements des Umlands beantworteten, was Millionen von Binnenflüchtlinge nach Saigon führte. Im Umfeld herrschten der Vietcong und nutzte, um die Amerikaner anzugreifen und sich vor ihren Massakern zu verstecken ein weitreichendes Tunnelsystem, das strategisch wichtige Teile des Landes wie Cu Chi durchzog. Bei ihrer Verteidigung ließen rund 45.000 Vietnamesen ihr Leben. Spannend auch die G-Cans in Tokio, die im Falle großer Fluten die Metropole entwässern soll und in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurde.
Auch Europa hat einige spannende Höhlen zu bieten. Im slowenischen Postojna zum Beispiel verschwindet der Fluss einfach so von der Erdoberfläche. Die dazugehörende Höhle wurde 1818 vor dem Besuch des österreichischen Kaisers durch Zufall von einem Einheimischen entdeckt, dem man dann aber seinen Fund nicht dankte. Es ist die Heimat des blinden und über 100 Jahre alt werdenden Grottenolms, der 12 Jahre ohne Nahrung auskommen kann, da er seine Lebensfunktionen auf ein absolutes Minimum reduzieren kann.
Noch näher dran ist der Tunnel 57 in Berlin. 57, weil er 57 Menschen im Jahr 1964 die Freiheit schenkte. Der 145 Meter lange Tunnel verband West- und Ostberlin und wurde von ein paar ehemaligen Ostberlinerns von Westen her unter der berüchtigten Mauer hindurchgetrieben. Nur zwei Tage diente er den Menschen zur Republikflucht, dann wird er durch Stasimitarbeiter entdeckt. Nicht einmal einen Meter hoch und tief war er und doch verhieß er die begehrte Freiheit.
Dies sind nur wenige Beispiele des exzellent recherchierten Bildbands. Zu jedem der unterirdischen Attraktionen gibt es die Geodaten, beeindruckende Fotos und sehr detailgenaue Karten. Es macht Lust, die vorgestellten Orte zu erkunden, doch werden wohl nur die allerwenigsten von uns mehr als eine Handvoll davon schaffen.
Chris Fitch, Subterranea - Die geheimnisvolle Welt unter der Erde, Frederking & Thaler Verlag, Hardcover, 240 Seiten, ISBN 978-3954163526, 29,99 Euro |