Natürlich, biologisch, biodynamisch Nur Marketing?

Zur ProWein 2015 wird es keine eigene Fläche für Biowein mehr geben, stattdessen kehren Bio-Weine wieder in die Gliederung nach Nationen zurück – so wie es sich die meisten Bio-Wein-Aussteller der internationalen Leitmesse für Wein und Spirituosen gewünscht hatten. Ist das das Ende einer Modeerscheinung oder der Beginn einer neuen Ära, in der Bio-Weine zum „Mainstream“ werden?

Auch Wein ist – ungeachtet der Folgen – gegen Trends nicht gefeit. Ob Marken mit irgendwelchen Kreaturen auf dem Etikett, Weine als Essensbegleiter oder „Orange Wines“ – sie alle standen bereits im Rampenlicht. Auch wenn es unbestritten Produkte gibt, die als Gewinner aus diesen Trend-Kategorien hervorgegangen sind, so verblasste ihr Ruhm doch nach ein paar Jahren wieder. Heute richtet sich das Augenmerk auf die Gruppe von Weinen, die als biologisch, natürlich oder biodynamisch bezeichnet werden – allesamt nur Modebegriffe für Produktkategorien, die grundsätzlich miteinander verwandt sind. Sie haben meistens gemein, was man mit Frucht und Wein während der Produktion nicht macht. In manchen Kreisen spricht man von Modeweinen und vielleicht sind sie das ja auch bis zu einem gewissen Grad. Aber kann man Weine, die schon immer existiert haben und aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiter existieren werden, wirklich als „Mode“ bezeichnen?

Die Antwort lautet natürlich Ja und Nein und ist leider gar nicht so einfach zu beantworten. Bio-Weine als Marktnische Man kann unmöglich behaupten, dass Bio-Weine besser sind als herkömmlich hergestellte Weine – auch wenn es dem Verbraucher überlassen bleibt, darüber je nach Vorliebe zu entscheiden. Was man jedoch behaupten kann, ist dass sie deutlich anders sind als konventionell produzierte Weine. Wenn Weine aus biologisch angebauten Reben diese Unterschiede nicht aufweisen, dann können sie bei ernsthaften Bio- Weintrinkern leicht in Ungnade fallen. Obwohl die schlagkräftige Marketing-Botschaft, die sich mit dem Wort „Bio“ verbindet, den finanziellen Verlust bei eher kommerziellen Verbrauchern mehr als wettmacht. Die Unterschiede sind subtil, aber sie können genau den Unterschied zwischen einer Modeerscheinung und einem dauerhaften Element der Weinbranche ausmachen.

Bio-Weine gelten heutzutage in einigen Regionen als potentiell revolutionäre Entwicklung. Dazu sagte Tim Marshall (Stellvertretender Vorsitzender des Bio-Verbandes Australien) kürzlich: “Ich glaube, die McLaren Vale Region in Süd-Australien könnte zum wichtigsten Produzenten von Bio-Weinen weltweit werden und wir könnten dieses Potential leicht in ein paar Jahren heben.“ Das fortlaufende Wachstum in diesem Bereich beschert Wein einige der höchsten Zuwachsraten weltweit, obwohl die Weinumsätze in vielen europäischen Ländern fallen oder stagnieren. Jährliche Umsatzzuwächse für Bio-Weine von 20% (Kanada), 18% (Schweden), 10% (Holland), 8% (Dänemark), 7% (Italien, Schweiz), 5% (Österreich, Frankreich) und 4% (USA) revolutionieren die Branche in diesen Ländern. Die biologisch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen haben sich weltweit im letzten Jahrzehnt fast vervierfacht und das rapide Wachstum geht ungebremst weiter.

All diese Zahlen verheißen Gutes für die Bio-Winzer. Aber wird der „inflationäre“ Gebrauch des Begriffes „biologisch“ als Marketing- Alleinstellungsmerkmal den kleineren, nach strikteren Regeln produzierenden Winzern eventuell den Wind aus den Segeln nehmen? Oder wird sie wie ein Katalysator für eine weitere Segmentierung des Marktes für Bio-Weine wirken?

Das ist also der Stand der Dinge: Wir haben Weine, die ironischerweise als herkömmliche Weine bezeichnet werden und die Branche über das letzte halbe Jahrhundert dominiert haben. Davor waren die sogenannten herkömmlichen Weine das, was wir heute als Weine aus biologischen Reben bezeichnen würden, und davor waren natürliche Weine eigentlich die herkömmlichen. Vielleicht wird man in fünfzig Jahren bio-dynamisch als zu seiner Zeit herkömmlich bezeichnen.

Und was hält die Zukunft für uns bereit?

Um die Richtung besser zu verstehen, in die sich diese Weine entwickeln werden, und welche Rolle das Marketing bei der breiteren Akzeptanz dieser „biologischen“ Varietäten spielen wird, müssen wir uns lediglich ein wenig umschauen und erkennen, was mit ihnen momentan geschieht. Eine der wirklich tiefgreifenden Entwicklungen bei diesen Weinen ist heute ihre breite Akzeptanz bei der Masse. Zum Beweis brauchen wir uns nur ein beliebiges Einzelhandelsgeschäft ansehen. Bis vor kurzem wurde diese Gruppe von Weinen auf den Regalen gesondert präsentiert, damit die „Anhänger“ sie beim Einkauf leichter finden, aber auch damit die Durchschnittsverbraucher danach auf keinen Fall unabsichtlich greifen. Bio-Weine waren das sprichwörtliche Minenfeld – voller Chancen, aber auch Risiken.

Heute werden diese Weine nicht mehr auf die Seite geräumt und in ihre eigene kleine „Spezialabteilung“ verbannt. Sie kehren zurück auf ihre Regalplätze direkt neben den anderen Flaschen Cabernet, Barolo, Chinon oder Spätburgunder. Sie sind nicht länger „Bürger 2. Klasse”, sondern den größten konventionellen Gewächsen ihrer Appellation bzw. Rebsorte ebenbürtig.

Adam Morgenstern, der Mitbegründer des „Organic Wine Journal“ sieht diese Entwicklung ebenfalls und kommentiert die Wünsche und Absichten der Winzer hinter den Marken wie folgt:

„Die Winzer haben es auch nicht leicht. Ich habe keinen einzigen Winzer getroffen, der für seine Bio-Produktion bekannt sein möchte. Sie wollen dafür bekannt sein, einen großartigen Wein zu machen — und bio ist einfach die Methode, die ihrer Meinung nach die beste Qualität ergibt. Für jeden einzelnen ist es ein Balanceakt zu entscheiden, ob er über die Qualität auf seine Verfahren aufmerksam macht oder ob er es sogar auf sein Etikett setzen will — was die meisten nicht tun. Aber das ist bei weitem nicht alles: Die größte Angst hat man meines Erachtens davor, von den Weingeschäften aus der entsprechenden geographischen Lage herausgerissen zu werden und im „Bio-Ghetto“ zu landen – eventuell irgendwo hinter der Theke neben den koscheren Weinen.“

Das ist kein Einzelfall. Es ist ein Trend und wir brauchen uns nur die ProWein anzusehen, um weitere Beweise für diese Integration von Bio- Weinen in die Mainstream-Sortimente zu finden. Die ProWein 2015 wird keine spezielle „Bio-Plattform“ mehr anbieten. Die war ursprünglich einerseits nötig geworden durch die steigende Zahl von Bio-Winzern auf der ProWein, die von gerade mal 17 Weinbauern im Jahr 2005 auf rund 300 Winzer zur ProWein 2014 anstieg, und andererseits durch das professionelle Interesse, dem Wachstum dieses Marktsegmentes Rechnung zu tragen. Die Rückkehr der Bio-Weine in ihre jeweilige Region auf der ProWein 2015 ist nur ein weiterer Beweis für das zahlenmäßige Wachstum dieser Weine, aber auch ihre wachsende Bedeutung.

Ein letzter Anhaltspunkt für die Richtung, in die sich diese Weine bewegen, ist die schrittweise Abschaffung ihrer Zertifizierung. Da jetzt immer mehr Winzer anfangen, Weine zu produzieren, die auf die ein oder andere Weise biologisch sind, umgehen auch immer mehr die teuren, umständlichen und vielleicht auch zunehmend sinnlosen offiziellen „Bio“- Zertifizierungen. So wie die Bio-Produkte auf der ProWein nicht länger anders behandelt werden, so machen sich auch die Produzenten keine Mühe mehr, offiziell als „bio“ eingestuft zu werden.

Levi Dalton, Sommelier und Direktor der Podcast-Serie „I’ll Drink to That“, erfasst die Lage, in der wir uns heute befinden, lapidar in einem Satz zu kommerziellen Weinen: „Billig und vom Supermarkt“.

„Vor ein paar Tagen war ich in einer „Whole Foods“-Filiale in Kalifornien und habe diesen grell als „bio“ deklarierten Wein für 10 Dollar im Regal gesehen. Ich habe die Winzer-Webseite besucht und da wird Frey als „Amerika's Erster Bio-Winzer“ gelistet mit 17 Weinen, die „Bio“ als erstes Schlagwort haben, neben mehreren biodynamischen Angeboten. Es scheint, dass dieser Winzer eindeutig auf „Bio“ als Markenkonzept gesetzt hat und dass er das Beste für die Markenpositionierung daraus gemacht hat.“

Mir ist dabei klar geworden, dass „bio“ mindestens zwei Bedeutungen hat: Bio als landwirtschaftliche Verfahrensweise und bio als Marketing-Slogan. Einige Winzer setzen beide ein und andere nur die eine oder die andere.“

Bio-Weine dieses Jahr besser kennenlernen.

Wir befinden uns zweifelsohne an einem Wendepunkt der modernen Bio- Wein Bewegung. Die Winzer, die sich „biologisch“ als landwirtschaftliches Verfahren auf die Fahne geschrieben haben, stellen zunehmend fest, dass der intelligente Einsatz der Rücketiketten zur Verbraucherinformation neben interessierteren und aufgeklärteren Medien und den Weinen selbst, viel wertvoller sind, als der Nachweis der durch Bio-Anbau erzielten Qualität durch irgendwelche Stempel oder Siegel. Zertifizierungen sind zwar keineswegs bedeutungslos, aber doch ziemlich leicht von denen, die Geld und Mitarbeitern haben, zu bekommen. Die Macht verschiebt sich von der Bürokratie zum Verbraucher und Hersteller. Dieser Prozess ist langsam, aber offensichtlich in vollem Gange.

Es geht uns zwar allen besser, wenn die Weinbranche zunehmend biologische Produktionsverfahren übernimmt, aber wir sollten auch diejenigen nicht vergessen, die diese Verfahren nicht nur schon immer eingesetzt haben, sondern das auch im Verborgenen getan haben und nicht im Traum gedacht hätten, ihre Praxis als Marketingvorteil zu nutzen. Auch hier ist es angezeigt, auf die Entscheidung der ProWein zurückzukommen, ihre Biowein-Aussteller wieder in die Gliederung nach Regionen und Nationen zur integrieren; denn unter den Weinen, die immer unter der nationalen Flagge angeboten worden sind, waren auch einige, die sich leicht als „bio“ oder natürlich hätten deklarieren können und so einen größeren Anteil am Ruhm abbekommen hätten. Aus welchem Grund auch immer – ob aus philosophischen oder finanziellen Erwägungen oder einfach aus Selbstgefälligkeit – entschieden sie sich dafür, bei ihren Nachbarn zu bleiben und einfach den Wein weiter zu produzieren, den sie schon immer so gemacht hatten, und damit zufrieden zu sein, den Wein für sich sprechen zu lassen.

Die Familie der Weine, die unter dem Oberbegriff „biologisch“ hergestellt werden, gehören heute zweifelsohne zu den interessantesten, dynamischsten, originellsten und innovativsten Weinen auf dem Markt. Sie sollten, wie es heute zunehmend geschieht, nicht miteinander verglichen werden, sondern eher mit ihren regionalen „Kollegen“. Wenn man ohne Vorurteile und vorgefasste Meinungen an Bioweine herangeht, dann wird man sicher feststellen, dass sie diesen „Kollegen“ absolut ebenbürtig sind. Das lässt sich nur durch ihre Verkostung mit ähnlichen Weinen herausfinden und dafür gibt es keine bessere Gelegenheit als die ProWein 2015. Mit neun Messehallen wird die ProWein eine einzigartige Vielfalt an Weinen und Spirituosen aller Kontinente präsentieren. Über 5.000 Aussteller aus 50 Ländern werden erwartet.

Die ProWein hat immer den Finger am Puls der Weinbranche und einmal mehr bewiesen, dass sie ihrer Zeit voraus ist, wenn es um die für den Wein-Profi wesentlichen Informationen geht!

Also – wir sehen uns in Düsseldorf zur ProWein 2015 vom 15. - 17.03.2015!

Autor: Gregory Dal Piaz (USA) beschäftigt sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit Wein. Er hat im Gastronomie-Bereich begonnen und kam dann über den Einzelhandel zu seiner derzeitigen Funktion als Chefredakteur bei Snooth.com.

(c) Magazin Frankfurt, 2024