Cody, Milch oder Blut

»Mich persönlich überzeugt von den Speisegeboten die Regel, die das Mischen von Milch und Blut verbietet. Milch ist Geschenk, Blut ist Gewalt. Das ist das, was für mich in der heutigen Welt Sinn ergibt. Und ich für mein Teil will nichts mit Gewalt nehmen. Mit anderen Worten: Richtig, ich esse kein Fleisch.«

Mit den üblichen 08/15-Krimis hat Liza Cody herzlich wenig am Hut. Das merkte ich schon vor Jahren, als mir als ersten Band "Lady Bag" in die Hände fiel. Der Krimi hatte eine obdachlose Alkoholikerin als Protagonistin, die im Herzen von London ihre Zeit verbrachte und von den meisten Menschen nicht wahrgenommen wurde. Begeistert vom Buch und der Idee dahinter war nicht nur die Hamburger Ariadne-Krimí-Lektorin und Verlegerin Else Laudan, ich und andere Rezensenten, sondern auch zahlreiche Krimifreunde, die dafür sorgten, dass Liza Cody dafür 2015 den Deutschen Krimi Preis erhielt. Der Roman erhielt später mit Krokodile und edle Ziele eine Fortsetzung. Auch in ihrem neuen Band fällt die Protagonistin wieder aus dem im Genre üblichen Rahmen. Auch die Story entwickelt sich in eine völlig unvorhersehbare Richtung. Ideenreich hat die Autorin immer wieder spannende Entwicklungen parat. Ende 2019 wurde Liza Cody mit dem Radio-Bremen-Krimipreis für ihre "großartige Beobachtungsgabe, gepaart mit pointiertem Sprachgefühl und einer tiefen Menschlichkeit" augezeichnet und für die große Portion Selbstironie in ihren Werken. Die Jury: "Ihre schrägen, oft atemberaubenden Plots sind ebenso unterhaltsam wie berührend. Es gelingt ihr immer wieder, politische und kulturelle Themen in der Länge eines Kriminalromans zu erzählen und klug zu durchdringen. Liza Codys Werke sind spannend erzählt, zugleich voller Schärfe, Wärme und hintersinnigem Humor." Es lohnt sich auch in die Vergangenheit von Liza Cody zu reisen, denn ihren ersten Krimi hat sie bereits 1980 verlegt und einige Jahre später kam er auch in Deutschland auf den Markt.

In "Milch oder Blut" ist Seema Dahami die Protagonistin. Sie ist Stadtgärtnerin und gestaltet Londoner Dachgärten, Balkons, Erker und andere grüne Nischen der Großstadt – auch Verkehrsinseln. Sie plant, pflanzt und jätet, pflegt und bringt zum Blühen. Mit ihrer orthodoxen Mutter führt Seema Dahami einen Stellungskrieg um Erscheinung, Religion und Ernährung: Atheistin Seema lebt vegetarisch, ihre jüdische Mutter lebt koscher. Dann trifft Seema einen eleganten älteren Mann namens Lazaro, der sie in ein anregendes Gespräch verwickelt.

Was ist schon dabei, wenn sie einen Zug aus seiner exquisiten Opiumpfeife nimmt? Der Handel mit dem Gift des Mohns hat in ihrer Familie historische Tradition. Außerdem ist Seema erwachsen. Und überdies stellt Lazaro ihr einen verlockenden Gartenjob in Aussicht. Aber wer ist Lazaro wirklich, und was will er eigentlich von ihr?

Elde Laudan ist von ihrer Autorin begeistert: "Liza Codys Kriminalromane sind gerne Reisen mit extrem ungewisser Route, Ausflüge in Parallelwirklichkeiten, deren warmer und lebhafter Realismus dabei hilft, dieser begnadeten, aber hypereigenwilligen Erzählerin bei ihren Sprüngen und Gedankenspielen zu folgen.

Auch Milch oder Blut beginnt ganz bodenständig im Hier und Jetzt des heutigen Brexit-Englands. Seema, siebenundzwanzig, selbständig, Ich-Erzählerin dieser Geschichte, rutscht in ein seltsames Abenteuer hinein, verstrickt sich in tagtraum­artige Eskapaden und gerät in ein undurchdringliches Dickicht aus unvereinbaren Welt- und Lebensanschauungen. Wie eine schwere Krankheit befällt Seema ein Symptom unserer Gegenwart: Von allen Seiten drängen sich ihr sogenannte Wahrheiten auf, Deutungen und Maßgaben. Sie bauen auf ihre Sehnsüchte und Träume, auf Tradition, auf Gruppenzwang und unüberschaubare Regelwerke. Und da Seema ständig mit dem Bedürfnis ringt, endlich irgendwo dazuzugehören und anerkannt zu werden, streitet Vernunft mit Gefühl, Wissen mit Wünschen, Ratio mit Hoffnung. Denn was sie erlebt, ist bizarr.

Milch oder Blut: eine Burleske, ein wilder Ritt durch Genres und Szenarien, eine urwüchsige Erzählung über Prinzipien, Glaube und Aberglaube. Und ein Krimi über Glücksversprechen. Denn Menschen machen ihre Geschichte selbst, wenn auch nicht aus freien Stücken. Hals über Kopf. Oder?

Liza Cody, Milch oder Blut, Ariadne bei Argument, Hardcover, 368 Seiten, ISBN 978-3-86754-253-1, 23 Euro

(c) Magazin Frankfurt, 2024