Rameau, Hippolyte und Aricie, Glyndebourne

Abgesehen von der Musik wird bei heutigen Inszenierungen barocker Opern meist auf die „historische Aufführungspraxis“ verzeichtet, da ein Kopieren der Technik des 17. Jahrhunderts kaum erreichbar ist und zudem nicht in unsere Zeit passt. Meist beschränken sich Regisseure deshalb auf ein abgespecktes, stilisiertes Bühnenbild oder wollen die Zuschauern mit einer oft überladenen Materialschlacht beeindrucken. Spannend ist es was Jonathan Kent damit in Glyndeboune angestellt hat. Es war das erste Mal, dass man in dem traditionsreichen Festival in der Nähe von Brighton, wo seit 1934 alljährlich Opernfreunde aus dem In- und Ausland erstklassige Opernaufführunen mit einem Gourmetpicknick im Park verbinden, eine Oper des französischen Barockkomponisten auf die Bühne brachte. Um dabei Rameaus raffinierte Lesart von Racines großer Tragödie „Phèdre“ in die Gegenwart zu transportieren, bedurfte es nicht nur der genialen Einfälle von JonathanKent; auch die bunten und eleganten Designs von Paul Brown, der die keusche Welt der Diana in einen Kühlschrank verortet, und die verspielten Choreografienvon Ashley Page übertragen den Zweck der Barock­Operauf das Heute – sie versetzen das Publikum in ständiges Erstaunen und Entzücken. So übertrug er die Oper mit genialen Ideen in die Gegenwart. Die Aufführung ist großartig, lustig, lässt uns staunen und auf moderne Art und Weise in die „Erlebniswelten“ der Vergangenheit eintauchen.William Christie, ein Spezialist für Alte Musik, findet mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment ein berauschendes Tempo mit Stil, Elan und Ausdruckskraft. Ed Lyon und Christiane Karg in den Titelpartien und Sarah Conelli als Phaedra singen und spielen einfach hinreißend!

(c) Magazin Frankfurt, 2024