Ysaye, Violinsonaten, Tainwa Yang

Als der Komponist Eugène Ysaÿe hörte, wie der ungarische Geiger Joseph Szigeti eine der Solosonaten Johann Sebastian Bachs spielt, animierte ihn das zur Komposition eines zeitgenössischen Pendants, das die Entwicklung der Violine seit Bachs hörbar macht und die Zeit, in der er lebte. Jetzt hat die junge Tianwa Yang seine Sonate für Violine solo G-Dur Nr. 5 bei Naxos eingespielt. Ysayes sechs Sonaten für Violine solo entstanden 1923/24 in Knokke-Heist, einem Seebad an der belgischen Nordseeküste. Es war nicht nur ein modernes Echo auf Bachs Musik, sondern auch eine Hommage an sechs Violinisten, die die Musik seiner Zeit definierten, weshalb er jede Sonate einem anderen, von ihm geschätzten Geiger widmetem, darunter natürlich Joseph Szigeti. Sie spiegeln nicht nur die Musik der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts wider, sondern auch die Persönlichkeit ihrer Widmungsträger.

In "L’aurore", übersetzt "Die Morgendämmerung", greift Ysaÿe auf viele Stilmittel zurück, die für die Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts typisch waren: Klänge jenseits harmonischer Grenzen und Töne, die zwar expressiv, aber auch zart und verletzlich sind – gespickt mit einer virtuosen Spieltechnik. Tianwa Yang, die seit 2012 Dozentin im nordhessischen Kassel ist, hat sich einen Namen gemacht. "Die stärkste junge Geigerin, weit und breit“, nannte sie Eleonore Büning in der FAS. Jetzt wurde sie bereits zum zweiten Mal in Folge mit dem ECHO Klassik-Preis ausgezeichnet und stieg dabei aber aus dem Stand von der "Nachwuchskünstlerin des Jahres 2014" zur "Instrumentalistin des Jahres 2015" auf, ein Supertalent und eine vollendete Meisterin auf ihrem Instrument.

(c) Magazin Frankfurt, 2024