Mahler, Das Lied von der Erde, Jonas Kaufmann

Gab es in der über 100jährigen Aufführungsgeschichte von Mahlers "Lied von der Erde" je einen Interpreten, der beide Solopartien gesungen hat? Mir wäre keiner bekannt, zumindest nicht von den großen Sängern des letzten Jahrhunderts. Bei den zahlreichen Aufnahmen findet sich zumindest nichts vergleichbares. Komponiert hatte Mahler die unnummerierte Sinfonie in seinem Komponierhäuschen im Südtiroler Toblach, wo er damals seine Sommer verbrachte. Das 1911 posthum in München uraufgeführtes Stück bezeichnete der Komponist als "Symphonie für Tenor, Alt (oder Bariton) und Orchester". So wundert es nicht, dass in den bisherigen Aufnahmen zwei Solisten zu hören sind: entweder Tenor und Bariton oder Tenor und Alt oder Mezzosopran. Jonas Kaufmann wagt sich erstmals als Solist an beide Partien. Zum ersten Mal hatte er das Stück gehört, als er um die 20 Jahre alt war. Eine Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Christa Ludwig. Schon die drei Tenorlieder sind eine besondere Herausforderung, aber Kaufmann reizt es bei Aufführungen, den Bogen von Anfang bis Ende zu spannen. Auf die Frage, ob 60 Minuten mehr oder weniger nonstop zu singen nicht ein sängerischer Marathon sei, verwies er auf Schuberts Winterreise oder Opernpartien wie den zweiten Akt des Parsifal.

Bei den von Mahler geschriebenen Liedern für Tenor und Bariton seinen die ersteren mehr extrovertiert, während die Baritonlieder stilistsich eher introvertiert angelegt seien."Ausserdem liebe ich die tieferen Lieder so sehr, dass ich bei Aufführungen oft sehr eifersüchtig den Baritonkollegen gelauscht habe" bekennt Kaufmann freimütig. Im Großen Saal des Wiener Musikvereins, in dem etliche hervorragende Mahler-Aufführungen stattgefunden haben, nahm er das Stück im Juni 2016 zusammen mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Jonathan Nott auf, und präsentierte es anschließend auch live im Konzert. Die Kritik war begeistert und sprach von einem "vollendeten Kunstwerk": "Bei den meisten würde man das als anmaßend empfinden, bei Kaufmann ergibt das absolute Logik, weil dadurch sein baritonales Timbre prachtvoll zur Geltung kommt, er aber in der Höhe auch strahlen kann. Abgesehen vom enormen Kraftaufwand, den allein es schon zu würdigen gelte, wurde das Konzert mit den von Jonathan Nott [...] angeführten Wiener Philharmonikern zu einem musikalischen und sängerischen Ereignis". Ein berührendes Meisterwerk der Klassik in einer faszinierenden Neuaufnahme mit Jonas Kaufmann.

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