Dylan, The Basement Tapes Raw

Fans von Bob Dylan kennen die legendären "Basement Tapes", für die er zusammen mit den Musikern der Band im Keller eines alten Hauses ein Sammelsurium fast vergessener Songs der US-amerikanischen Rootsmusik aufnahm. Manchmal werden die Lieder als sein Bekenntnis zu den Freuden des einfachen Lebens als Familienvater gedeutet und manch alter Fan wirft ihm dafür Verrat an den Idealen der Gegenkultur vor. Wie auch immer: sie gehören zweifelsfrei zu den künstlerischen Meilensteinen in Dylans Schaffen und faszinieren bis heute nachfolgende Generationen von Musikern, Fans und Kulturkritikern. Dylans Ruf als Umwälzer ist legendär: Schon in den frühen 1960ern hatte er musikalische und kulturelle Umwälzungen mit angestoßen und sein Ruf in den Jahren 1965 bis 1968 war einzigartig, was sich auch in dem Zuspruch zu seinen Alben Bringing It All Back Home, Highway 61 Revisited und Blonde On Blonde ausdrückte. Legendär sein kontroverser Auftritt beim Newport Folk Festival 1965 und seine späteren Tourneen durch die USA, und Europa.

Ein kometenhafter Aufstieg und ein atemberaubendes Werk, die allerdings 1966 einen Einschnitt erfuhren, als Dylan mit dem Motorrad verunglückte und zur Genesung einige Zeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwand. Damals entstanden zusammen mit Robbie Robertson, Rick Danko, Richard Manuel, Garth Hudson und Levon Helm, die sich später Bob Dylan & The Band nannten, im Keller des Hauses die über 100 Songs der "Basement Tapes", darunter Traditionals, Covers von Kollegen und Dutzende neuer Dylan-Songs, darunter künftige Klassiker wie "I Shall Be Released", "The Mighty Quinn", "This Wheel’s On Fire" und "You Ain’t Going Nowhere". Gerüchte über die Sessions förderten eine Neugier und führten zu einem neuen Phänomen im Musikgeschäft: den Bootlegs, nicht autorisierten Mitschnitten von Konzerten. 1969 tauchte in den Plattenläden dann auch ein Album davon mit dem mysteriösen Titel "Great White Wonder" auf, das sich zum heimlichen Hit mauserte, da immer mehr Dylan-Fans wollten hören, was damals im Keller des "Big Pink" genannten Hauses geschehen war.

Erst 1975 veröffentlichte Columbia Records eine Auswahl von 16 Songs der legendären Sessions auf dem Doppelalbum "The Basement Tapes", darunter acht neue Stücke ohne Dylan. Auf den jetzt bei Sony Music erschienenen Doppelalbum "The Basement Tapes Raw" ist eine Auswahl von 38 Songs aus dem restaurierten Bandmaterial enthalten. Dafür hat der kanadische Musikarchivar und Produzent Jan Haust eng mit dem Band-Mitglied Garth Hudson zusammengearbeitet, um den in die Jahre gekommenen Bändern zu ihrem ursprünglichen Klang zu verhelfen. Ein erheblicher Teil der Musik wurde dabei erstmals digital bearbeitet. Im Unterschied zur Veröffentlichung von 1975 wurden sie so weit möglich in den klanglichen Zustand versetzt, in dem sie Dylan und The Band im Sommer 1967 selbst gehört haben. 100 Songs mehr, davon etliche in zwei oder drei Versionen sind in der 6 CD-Box "The Basement Tapes Complete" enthalten - auch für manchen Dylan-Fan etwas viel des Guten.

(c) Magazin Frankfurt, 2024