Navai, Stadt der Lügen

Sie liegen zwar schon über 40 Jahre zurück, doch ich erinnere mich noch gut an meine Besuche in Teheran Anfang der 70er Jahre. Ich war damals mit dem Bus unterwegs und staunte nicht schlecht über die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Auf den 900 Kilometern Fahrt von der türkischen Grenze beim Ararat in die persische Hauptstadt passierten wir zahllose staubige Dörfer ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Selbst die Millionenstadt Täbris, Hauptstadt des persischen Ost Aserbaidschans wirkte noch wie eine orientalische Märchenstadt aus Tausendundeiner Nacht. Erst als wir uns Teheran näherten, wurde der Bus und die Fahrgäste mehrfach von Soldaten kontrolliert. Dabei ging die dort immer präsente Geheimpolizei SAVAK ausgesprochen rüde mit allen als Dissidenten verdächtigten um. Teheran selbst war schon damals mit mehr als vier Millionen Einwohnern das wichtigste Wirtschafts-, Handels- und Kulturzentrum im Land und war in seinem Zentrum eine moderne Stadt wie man sie damals auch in Europa finden konnte. Das Land profitierte vom Erdöl und die Führungsschicht wähnte sich fast auf einem Entwicklungsstand mit den Ländern Mitteleuropas. Fatal, denn die Rückständigkeit der Provinz blieb vielen von ihnen, die gerade mal auf dem Weg über das Elburs-Gebirge zu ihren Strandhäusern am Kaspischen Meer die Stadt verließen, verborgen.

Das sollte sich rächen und wenige Jahre später erfasste die Islamische Revolution das Land und führte zum Sturz und zur Flucht des Shahs. Liefen damals westlich gekleidete hübsche junge Frauen durch die Stadt, hat sich seitdem viel verändert. Im »Gottesstaat« Iran spielt sich das eigentliche Leben im Verborgenen ab. Schulmädchen tragen unter dem Tschador weiterhin Jeans und Converse-Turnschuhe, untreue Ehemänner pilgern nicht nach Mekka, sondern nach Thailand, und beim Schönheitschirurgen werden nicht nur Nasen gerichtet, sondern auch Jungfernhäutchen wiederhergestellt. Die Journalistin Ramita Navai war bei meinen Besuchen in Teheran noch ein Kleinkind und verließ das Land 1978 mit ihren Eltern nach England. Von 2003 bis 2006 war sie für die Times Korrespondentin in ihrer alten Heimat und trifft dabei auf Menschen, die ihr ihre Geschichten anvertrauen: ein Terrorist, der einen Anschlag vorbereitet, ein Mädchen, das mit einem Playboy verheiratet wird, ein Blogger, dessen Eltern hingerichtet wurden, ein sympathischer Drogendealer, der eine Crystal-Meth-Küche betreibt, und eine Pornodarstellerin, die in Lebensgefahr gerät. Sie alle müssen sich in einer widersprüchlichen Welt behaupten, in der man sich für ein Leben ohne Repression nicht selten dem Zwang des Scheins fügt.

bei Amazon.de bestellen

(c) Magazin Frankfurt, 2024