Manotti, Schwarzes Gold

Manche Krimiautoren muten uns abenteuerliche Räuberpistolen zu und oft kann man nur froh sein, dass die Welt nicht von ihren bestialisch mordenden Sozio- und Psychopathen bevölkert ist - oder sie zumindest in der Regel ihre Gewaltphantasien nicht in die Tat umsetzen. Ganz anders bei Dominique Manotti. Bei der klugen Pariser Autorin, die früher in an den Pariser Universtäten die Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit lehrte und mit 50 Jahren frustriert von der poltischen Perspektivlosigkeit der Mitterand-Ära anfing Bücher zu schreiben, kann man sicher sein, dass sie ihre Bücher gut recherchiert hat und sie immer wieder an der Realität in ihrem Lande justiert. Da sie viel Hintergrundwissen besitzt, ist das keineswegs öde, sondern öffnet uns oft die Augen für das, was schief läuft - nicht nur im Nachbarland Frankreich.

in ihrem neuen Buch knöpft sie sich eine ökonomisch und geopolitisch hochkomplexe Epoche vor, deren Siege und Niederlagen bereits den Zuschnitt des 21. Jahrhunderts erahnen lassen: Es ist das Jahr 1973. Die großen Ölkonzerne halten den Daumen auf dem Erdölmarkt, der transatlantische Drogenhandel blüht nicht mehr, die French Connection ist zerschlagen und nach ihrer Auflösung tobt in Marseille ein blutiger Bandenkrieg um die Nachfolge von Mafiaboss Antoine Guérini. Während Unterwelt und Polizei sich neu aufstellen, kämpft die Hafenstadt am Mittelmeer mit dem wirtschaftlichen Niedergang. In dieser aufgeheizten Atmosphäre wird der dynamische Geschäftsmann Maxime Piéri vor dem Casino von Nizza mit zehn Kugeln hingerichtet. Der Held der Résistance, vormals rechte Hand der Guérini-Brüder und dann zum Frachtreeder konvertiert, scheint seiner Mafiavergangenheit erlegen zu sein. So jedenfalls die bevorzugte Version von Polizei und Justiz, wo man an einer echten Untersuchung nicht interessiert ist. Mit dem Fall betraut wird der (noch) unerfahrene Commissaire Théodore Daquin, der in Marseille seinen ersten Posten antritt. Er stößt auf dubiose Aktivitäten von Piéris Frachtern im Mittelmeer, die offenbar nicht nur Erz und Getreide transportieren. Und in Zusammenarbeit mit einem anonymen Partner schien der Reeder sich soeben für den Einstieg in ein heiß umkämpftes neues Geschäftsfeld zu rüsten.

Daquin bleiben genau fünfzehn Tage, die ihm im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens für seine Ermittlung zustehen, um sich in das Labyrinth der lokalen Geheimnisse, des Seefrachtgeschäfts und der internationalen Finanzkreisläufe einzuarbeiten. Eine Herkulesaufgabe im Angesicht einer undurchsichtigen Gemengelage und einer ihm fremden, bedrohlichen Stadt, einer Stadt der Schurken und Banditen, brodelnder Moloch zwischen Klassenkampf und Krise, für manche ein Sprungbrett, für andere Endstation.

Manottis Marseille fängt in Makro-Aufnahmen von extremer Schärfe und kühler Sinnlichkeit die intrigenstrotzende Wirtschaftspolitik der Siebziger ein. Präzise Action in einem harsch skizzierten Fresko der leidenschaftslosen Gewalt: Die Akteure sind Spieler, der Einsatz ist bis heute derselbe. Es ist unsere Welt. Manotti schickt ihren späteren Pariser Protagonisten Théo Daquin in seine Vergangenheit – in eine ­Affäre, die nicht nur sämtliche unterirdischen Netzwerke von Marseille und Nizza umfasst, sondern vor allem die obskure Welt des Erdölhandels. Meisterhaft gestaltet die Wirtschaftshistorikerin das gigantische ökonomische und geopolitische Fresko einer hoch­komplexen Epoche, die bereits das Gesicht des 21. Jahrhunderts erahnen lässt. Das liest sich gut, da möchte man Dominique Manotti kennenlernen. Gar nicht so schwer, denn in seiner Sendung Druckfrisch am 24. April 2016 interviewte Denis Scheck die französische Noir-Autorin in Paris.


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