Glencross, Barbaren

Man nehme eine Portion Politik, eine Prise Feminismus, mische es mit Kunst und Dichtung, füge einen Schuss Dom Ruinart hinzu und gebe es in die Champagnerflöten vier junger Oxford-Absolventen. Et voilä, heraus kommt der Debütroman von Tim Glencross. Mit einem gnadenlosen, teilweise sarkastischen Blick schaut er vor dem Hintergrund der Finanzkrise hinter die Fassaden der >Barbaren<<, der Schönen und Mächtigen der Londoner Oberschicht. die sich wohlfühlen im Sozialismus nach Blairscher Tradition und dabei doch nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind.

London 2008: Die Ara Blair neigt sich dem Ende zu, die Wirtschaft liegt am Boden und im stadtteil lslington feiert die Schickeria slch selbst. Gastgeber Sherard Howe und Daphne Depree sind ein Intellektuellenpaar wie es im Buche steht: Er Kunstliebhaber, Sprößling einer Verlagsdynastie und Besitzer einer linken Zeitschrift, mit einer Vorliebe fürjunge Männer, die ihm noch zum Verhängnis werden soll. Sie eine lkone des britischen Feminismus. Sohn Henry bekommt sein Leben nicht so richtig auf die Reihe und sowieso werden sie alle überstrahlt von der atemberaubend schönen Afua, Adoptivtochter der Howes und aufgehender Stern am Himmel der Labour-Partei. lhr Freund - und späterer Mann - Marcel, ein Diplomatensohn aus Brüssel, der in einer renommierten Londoner Anwaltskanzlei arbeitet, ist da das passende Accessoire.

In diesen illustren Reigen möchte sich auch die junge Elizabeth ,,Buzzy" Price einreihen, doch bleibt sie nur Zaungast auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Hineingeboren in eine Familie aus der Mittelschicht wird sie von Minderwertigkeitskomplexen und Selbstzweifeln getrieben, immer unsicher, wie sie sich ihren drei Freunden gegenüber verhalten soll. Die Gedichte, die sie schreibt, überzeugen nicht einmal sie selbst und überhaupt klopft sie jede ihrer Handlungen darauf ab, ob sie der Clique, allen voran Marcel, von dem sie geradezu besessen ist, gefallen würden. Von Selbstbestimmtheit kann bei Buzzy also keine Rede sein. Sie stürzt sich in eine Beziehung mit dem viel älteren Chef von Marcel, denn es könnte diesen ja verletzen und endlich, endlich in ihre Arme treiben.

Was Berechnung und Manipulation betrifft, steht Afua ihrer Freundin Buzzy in nichts nach, Ohne Rücksicht auf Verluste zieht sie die Strippen auf der politischen Bühne. Wer braucht schon Freunde und ein ausgefülltes Privatleben, wenn man in der Politik glänzen und erfolgreich sein kann? Selbst als Marcel sie betrügt, blickt sie mit strahlendem Lächeln von den Titelseiten der Yellow Press..

Mit seinem Buch legt Tim Glencross eine kluge und gl€ichermaßen unterhaltende Gesellschaftssatire vor, in der es ihm vortrefflich gelingt, sowohl die Innenwelten seiner Figuren als auch ihre Wahrnehmung durch andere abzubilden. Die Abgründe, die sich dazwischen auftun, zeigen, dass nur, wer sich verstellt und selbst verrät, wirklich dazugehören kann. Letztendlich sind sie alle, Afua, Buzzy, Henry und Märcel, nur Marionetten in einem von Geld, Macht und Erfolg getriebenen system.

(c) Magazin Frankfurt, 2024