Cody, Miss Terry

Normalerweise sind die Charaktere, um die Liza Cody ihre Geschichten entwickelt ziemlich ungewöhnliche Personen, denen man im alltäglichen Leben nicht allzuoft über den Weg läuft - oder besser, sie nicht allzuoft bewußt wahrnimmt, wie zum Beispiel Lady Bag, eine Londoner Obdachlose im gleichnamigen Buch oder mit der nicht immer gabnz gesetzestreuen Catcherin und Müllplatzwächterin Eva Wylie in der Bucket-Nut-Trilogie. In ihrem neuen Buch geht es um die Londoner Grundschullehrerin Nita Tehri. Die hat sich von ihren Ersparnissen eine kleine Eigentumswohnung zugelegt, wo sie ein leises Leben führt. Sie sucht keinen Streit, ist freundlich zu Nachbarn und Kolleginnen und unterrichtet. Buchstabiert geduldig ihren Namen, wenn man sie Miss Terry nennt.

Eines Morgens wird genau gegenüber von Nitas Haus ein Müllcontainer abgestellt, leicht angerostet und verbeult, gedacht für den Bauschutt einer Sanierung. Er bleibt dreieinhalb Minuten leer, von da an landet alles Mögliche darin: Fastfoodverpackungen, Rigipsplatten, Altbautüren, Weihnachtsbäume, Abfallsäcke, Öfen … Manches verschwindet über Nacht wieder, manches bleibt. Sobald er voll ist, wird der Container ausgetauscht, und der wundersame Reigen des Mülls beginnt von vorn.

Dann steht nach Feierabend ein Polizist vor Nitas Tür. Stellt ihr Fragen, die zunehmend unverschämter werden. Ob ihr jemand aufgefallen ist, der in aller Heimlichkeit Dinge im Container entsorgt hat? Warum sie so oft aus dem Fenster späht? Ob es zutrifft, dass sie bis vor Kurzem deutlich dicker war? Sie reißt sich zusammen.

So, wie sie sich beherrscht, wenn sie immer wieder gefragt wird, ob sie sich wegen ihres Migrationshintergrunds vor der Polizei fürchtet. Denn sie hat ja nichts getan, außer sich von ihrer traditionalistischen Familie loszusagen, um das Leben einer Engländerin zu führen.

Am nächsten Tag zeigt sich, dass der Schuldirektor über sie befragt wurde. Und dass ein Großteil ihrer Nachbarn ihr jetzt aus dem Weg geht. Dann kommt es raus: Man hat im Container eine Babyleiche gefunden und verdächtigt – na, wen wohl? – die alleinstehende junge Frau mit der braunen Haut. Nita merkt, dass sie nicht wehrhaft genug ist für die Abwärtsspirale, die nun einsetzt. Sie wird bespitzelt, angefeindet, zur DNA-Analyse vorgeladen, hintergangen, vom Unterricht suspendiert. Ihr Haus wird beschmiert und angesteckt. Schließlich muss sie sich fragen: Wem nützt es, sie so zum Opfer zu machen? Wer hat hier wirklich Dreck am Stecken?

Liza Cody, die gebürtige Londonerin hat selbst Gossenerfahrung gesammelt, studierte Kunst und arbeitete als Roadie, Fotografin, Malerin und Möbeltischlerin, bevor sie zum Schreiben kam. Ihre Kriminalromane um die Londoner Privatdetektivin Anna Lee wurden mit Preisen ausgezeichnet, in mehrere Sprachen übersetzt und fürs Fernsehen verfilmt. In den Neunzigern begann sie mit der weltweit als Genrebreaker berühmt gewordenen Bucket-Nut-Trilogie um Catcherin Eva Wylie, für die sie den Silver Dagger erhielt. Es folgten vier weitere Romane. Miss Terry, der vorletzte vor Lady Bag erschien in England 2012. Liza Cody lebt in London.

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(c) Magazin Frankfurt, 2024